Berliner Mauer – Berliner Behörden blocken im NSU-Untersuchungsausschuss

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Bericht von der 66. Sitzung des Untersuchungsausschusses zum NSU im Bundestag am 22.4.2013

 

Zeugen:

 

  • [P. S., Kriminalhauptkommissar, LKA Berlin, V-Mann Führer von (nicht öffentlich)]
  • Direktor a.D. Peter-Michael (68), 1991-2011 LKA Berlin
  • Bernd Krömer (58), Staatssekretär, seit Dezember 2011 in der Senatsverwaltung Inneres und Sport des Landes Berlin für die Sicherheitsbehörden zuständig.

 

Am Montag Nachmittag bis in den späten Abend hinein vernahm der Untersuchungsausschuss des Bundestages drei Zeugen zu offenen Fragen der Rolle des Berliner LKA im Komplex NSU. Lange stand das Land Berlin im Vergleich zu Desaster-Ländern wie Sachsen, Bayern und Thüringen gut da und schien wenig mit dem ganzen Fall zu tun zu haben. In den letzten Monaten waren trotzdem eklatante Fehler und obskure V-Mann-Praktiken in Berlin festgestellt worden: Die V-Mann-Tätigkeit des -Kaders Thomas Starke für das LKA Berlin, die Nicht-Weitergabe von relevanten Erkenntnissen über den NSU an zuständige Behörden und eine eigene Aktenschredderei im Jahr 2012, die Innensenator Henkel dem Untersuchungsausschuss monatelang verschwieg.

Über diese Sitzung des Untersuchungsausschusses und die Hintergründe ist tagesaktuell in den Berliner Medien berichtet worden, z.B. im Tagesspiegel hier und hier. Deswegen erfolgt hier vor allem eine Zitatesammlung auf Grundlage selbstgefertigter Notizen (für deren wörtliche Korrektheit wir nicht garanieren können) zu den verschiedenen Themenkomplexen. Wer die Hintergründe der Skandale erfahren möchte, lese bitte die Zeitungsartikel und diesen Blogbeitrag.

Der erste Zeuge, V-Mann-Führer von Thomas Starke, wurde aufgrund seiner andauernden Tätigkeit als V-Personen-Führer zum Schutze seiner Persönlichkeit in nicht-öffentlicher Sitzung vernommen. Das Protokoll wird – anders als bei anderen Zeug_innen, die in geheimer Sitzung befragt wurden – nicht als geheim eingestuft.

 

Einschläfern durch Einlassung

 

Der zweite Zeuge Peter-Michael Haeberer war von 1997 bis 2001 Leiter des Staatsschutzes beim Berliner LKA und dann bis 2011 Chef der Landesbehörde. Er hatte anscheinend die Taktik, dem unangenehmen Teil der direkten Befragung durch ein eineinhalb stündiges Eingangsreferat zu entgehen bzw. es durch überflüssige Detailberichte zu allgemeinen Themen (aufgeteilt in vier Themen-Blöcke) ins Unerträgliche hinauszuzögern. „Ich habe mich gut vorbereitet, Gespräche mit Mitarbeitern geführt und Akten gelesen“ Er berichtete davon, was das LKA in Berlin während seiner 20-jährigen Amtszeit so beschäftigte: „Der Rechtsextremismus in Berlin hatte in den 90er Jahren ein verstärktes Erscheinungsbild“, es gab „Gewalt und Radikalisierung“, er erwähnte die Kreuzverbrennungen 1991 in Brandenburg und das B&H-Verbotsverfahren. „Ideologien tauchten auf in der sonst ideologiefreien Skinhead-Szene. […] Wir haben ja später auch den Vorwurf gehört, wir hätten uns nur um Musik [gemeint ist das Landser-Verfahren, d.Red.]gekümmert, nicht um Morde. Das tut weh. […] Musik ist so wichtig, sie transportiert die Ideologie, aber das hört ja niemand in unserem Alter. Die Texte waren ja oft unverfänglich, vor allem aber die englischen Texte waren strafrechtlich relevant.“ Sonstige Probleme in Berlin waren aber auch wichtig: „Schengen-Ost-Erweiterung, Autodiebstähle, aber auch Konflikte zwischen Familienclans türkischer und libanesischer Herkunft“. Dann folgte ein langes Referat über die Geschichte und die Regelung von Einsätzen von V-Leuten, wobei er vorweg betonte, dass „Vertrauenspersonen“ nicht das seien, „was der Name hergibt. Sie genügen nicht moralischen Standards. […] Aber sie werden gebraucht. Sie sind Ultima Ratio.“ Man befinde sich ständig in einem Spannungsverhältnis zwischen Effizienz, dem Schutzbedürfnis der V-Person und der Evaluation. Er referierte über die Veränderungen der Personalstruktur und die (De-)Zentralisierung von VP-Führungen im Laufe der Jahrzehnte. Als Eva Högl (SPD) nach 40 Minuten fragte, in welchem Jahr man sich denn bei seinen Erzählungen befinde, erntete Haeberer für seine Antwort „das war 1999/2000“ von der Zuschauertribüne ungläubiges Gelächter.

Als der Zeuge bei seiner Einlassung endlich zum Komplex „V-Person 562“ (Thomas Starke) kam, meinte er: „das ist jetzt sicherlich eingestuft“ und wollte damit indirekt den Ausschluss der Öffentlichkeit nahelegen, da auch die Akten als geheim eingestuft seien und die Identität der VP 562 „noch nicht freigegeben“ sei. Dem schloss sich der anwesende Vertreter des Landes Berlin an, während die Abgeordneten das eindeutig ablehnten. Petra Pau (Die Linke) stellte klar: „Ich erwarte nicht, dass sie uns aus Akten zitieren, die wir sowieso alle gelesen haben. Ich erwarte, dass sie Fragen beantworten und uns ihre Kenntnisse, ihr eigenes Wissen mitteilen.“ Der UA-Vorsitzende Edathy (SPD) dazu: „Ich will auch Berlin darauf hinweisen, dass sie nicht völlig willkürlich Akten als geheim einstufen können. […] Sie können ja sagen ‚VP 562' statt Thomas Starke. Vielleicht können wir dann anfangen.“

Die Befragung des Zeugen verlief denn auch zäh, keine nennenswerten neuen Erkenntnisse kamen dabei heraus, ungeklärte Fragen blieben ungeklärt.

 

Starke als V-Mann des LKA Berlin

 

Haeberer: „Ich habe von dem Vorgang [der Anwerbung]erst im Dezember [2000] erfahren. […] Vielleicht wusste ich vorher, dass es eine VP im Landser-Komplex gibt, aber war mir nicht über die Umstände im Klaren oder sie sind mir nicht erinnerlich.“ Dass Haeberer selbst die Weisung gegeben hat, Starke anzuwerben, bestreitet er, obwohl Wolfgang Wieland (Grüne) aus einer Akte zitiert, in der der Oberstaatsanwalt im November 2000 schrieb: „VP 562 wird auf Weisung von H. in Dresden angeworben“. In der vorhergegangenen Zeugenbefragung von Herrn S. sagte dieser aus, dass „H.“ Haeberer gewesen sei. Dieser sagte: „Eine Weisung hätte ich formal gar nicht geben können. Warum der Zeuge meint, diese Erinnerung zu haben, kann ich mir nur so erklären, dass normalerweise mein Name darunter steht.“

„Die Frage wie viele V-Leute für das LKA gearbeitet haben, war für mich von untergeordnetem Interesse.“ Weder über die Notwendigkeit noch über die konkrete Gewinnung habe er entscheiden müssen. „VP-Anwerbungen waren aber nicht vorlagepflichtig.“ Allerdings musste er Dienstreiseanträge unterschreiben, daher findet sich seine Unterschrift auf einem Dokument, das auf Starke hinweist. „Im Zuge der Anwerbung von VP 562 wurden wohl erhebliche Bedenken formuliert, die sind mir damals nicht bekannt geworden.“

 

Der Wert der VP 562 für das LKA

 

„Ich kann nach meinem Aktenstudium feststellen, dass es keinen Hinweis auf Weitergabe von Informationen gibt.“ Dies hieße aber nicht, dass nicht doch Informationen mündlich weitergeben worden seien. (Aber nur weil etwas nicht in den Akten steht, heißt das nicht, das hat es nicht gegeben – eine Feststellung, die man auf den gesamten NSU-Komplex anwenden möchte und sich dann eher gegen die Behörden richtet.) Zu dieser Aussage ist der Hintergrund, dass es mehrere konkrete Hinweise [Starke wusste, dass Kontakt zu „drei Untergetauchten“ hatte, er hat Hinweise auf die Beschaffung von Waffen durch das untergetauchte Trio gegeben und auf eine Person – Schmidt oder Schmidtke aus Ludwigsburg, die mit Waffen handle.] auf Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gegeben hat, die für andere LKAs oder das BKA interessant gewesen wären. Doch weder wurde mit den Hinweisen innerhalb des Berliner LKAs irgendetwas angefangen, noch wurden sie zur Bearbeitung oder auch nur zur Information an andere Behörden weitergegeben. „Wenn ich das selber in der Hand gehabt hätte, wäre mir das sicherlich aufgefallen.“, verteidigt sich Haeberer. Aber er hatte ja nichts direkt mit der VP-Führung zu tun: „Als Staatsschutzleiter hab ich nie in eine VP-Akte geschaut, als LKA-Leiter ja, aus Kontroll-Gründen.“

Auf die Frage, warum Starke trotz eines geringen Erkenntnisgewinns von 2000 bis (mindestens 2009, wahrscheinlich aber ) 2011 als V-Mann gehalten wurde, antwortete Haeberer: „Es bestand für mich keine Notwendigkeit, dieses Ermittlungsinstrument einzeln zu prüfen.“ „Ich weiß nicht warum oder was die Kollegen zu ihrer Entscheidung bewogen hat.[…] Ich vermag das nicht zu sagen. Im Nachgang könnte man sagen, dass sie [die VP 562]nicht gehalten hätte werden müssen, aber man wusste ja, dass sie Zugänge [zur Nazi-Szene]hat.“ Später legte er nahe, dass die VP nicht „auf Vorrat“ gehalten worden sei, sondern immer wieder neu eingesetzt worden ist. Wieland widersprach, dass es auf ständige Neuverpflichtungen, Abschaltungen und erneute Neuverpflichtungen keinen einzigen Vermerk in den Akten gäbe. Der Sachverhalt blieb ungeklärt.

Auch die Frage, warum Starke vom LKA eine neutrale Handykarte bekommen habe und das LKA Berlin darüber nicht das gegen Starke ermittelnde LKA Sachsen informiert habe, blieb ungeklärt. Wieland fasste seine Befürchtung der Strafvereitelung im Amt zusammen: „Das ist ja viel extremer als wir es von den Nachrichtendiensten kennen. Das ist die Abschottung der einen Polizei von der anderen in einem Ermittlungskomplex.“

Da aber bei den Abgeordneten langsam die Luft raus war, wurde der Zeuge trotz aller ungeklärten Fragen und ausweichenden bis widersprüchlichen Antworten entlassen.

 

Verteidigung des Innensenators Henkels

 

Die Befragung des dritten Zeugen des Tages, des Staatssekretärs Bernd Krömer, verlief ebenso unergiebig. Zur Erleichterung der Abgeordneten und der Zuhörenden blieb seine Einlassung relativ kurz. Er formulierte sein Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer und betonte, dass es nun gelte, „das Vertrauen wieder herzustellen und Veränderungen einzuleiten“. Die dann besprochenen Vorgänge in der Berliner Behörde und der obersten Regierungsriege tragen allerdings nicht zur Vertrauensbildung bei. „Es ist nicht immer mit der notwendigen Sensibilität gehandelt worden, aber es sollte nichts zurückgehalten werden“, sagte Krömer. Wie berichtet [link blog]hatte die kommissarische Polizeipräsidentin Margarete Koppers am 9.3.2012 per Anruf den Berliner Innensenator über die Tätigkeit Starkes als V-Mann des LKA informiert. Angeblich habe der GBA allerdings Verschwiegenheit erbeten, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Der GBA hatte dies später dementiert. Koppers beharrte auf der angeblichen Bitte des GBA um Geheimhaltung. Krömer selbst will am 24.4.2012 am Rande einer Sitzung mit Henkel, Koppers und dem LKA von der Existenz der VP 562 erfahren haben und fühlte sich „in einem Spannungsverhältnis zwischen VP-Schutz, Ermittlungsinteresse und Vertraulichkeitsvereinbarung gegenüber dem GBA“. Erst nach der angeblichen Aufhebung der Geheimhaltung durch den GBA habe das LKA den Sachverhalt dann im September dem Untersuchungsausschuss gemeldet. Wieland hielt ihm vor, dass am 13.9.2012 Henkel sich aber „überrascht“ gegeben hatte, als er von Benedikt Lux (Grüne) über Starke „informiert“ wurde, was ja nicht sein könne, wenn er Monate vorher durch Koppers selbst telefonisch über Starke informiert worden sei. „Ich glaube, er hat sie [gemeint ist wohl die Information über einen V-Mann des LKA im Umfeld des NSU]nicht sofort auf diese Person bezogen, vielleicht hat er die Frage nicht so verstanden“, nahm Krömer seinen Dienstherren in Schutz. Obwohl der GBA am 6. Juli 2012 den zweiten Beweisbeschluss erlassen habe ließ sich das LKA Berlin mit der Übermittlung aller Erkenntnisse und Akten weiterhin Zeit. Krömer versuchte das damit zu rechtfertigen, dass das LKA sich noch mit der Abteilung des Verfassungsschutzes habe abstimmen müssen und „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ gehe, Berlin sei schließlich eines der ersten Länder gewesen, dass die Sachen beim GBA abgeliefert habe. Wieland machte deutlich: „Aber sie saßen ja auf einer Bombe!“

Auch zur Aktenschredderei des Berliner Verfassungsschutzes, die angeblich auf einer Verwechslung von einem rechten Stapel mit einem linken Stapel von Akten beruhte, konnte Krömer nur bekannte Details oder unwichtige Details erzählen: „Am 15.10.2012 erfuhren wir, dass Akten, die eigentlich ins Landesarchiv gehen sollten, vernichtet wurden. Am 5.11.2012 lag mir dann alles vor und ich beschloss, den Untersuchungsausschuss zu informieren. Ich rief Herrn Edathy an. Wir haben Konsequenzen gezogen, damit in Zukunft eine Verwechslungsgefahr ausgeschlossen werden kann.“ Der Raum, in dem die „Verwechslung“ der Stapel geschah, wäre voll mit Gerümpel und Weihnachtsdekoration gewesen, aber das sei jetzt nicht mehr so. Nun gebe es eine farblich unterschiedliche Kennzeichnung von Akten und Krömer versicherte dem Ausschuss, dass nun alle „Akten komplett erhalten“ bleiben.

 

Fazit

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieser Tag im Untersuchungsausschuss extrem unergiebig war. Die Befragungen verliefen zäh und die Verteidigungsstrategien der Zeugen (über Unwichtiges reden, sich auf Quellenschutz berufen, Verantwortung von sich weisen) waren altbekannt und irgendwie doch erfolgreich. Warum Innensenator Henkel, der gerne nicht zu den entsprechenden Innenausschusssitzungen erscheint, noch nicht vor den Untersuchungsausschuss geladen wurde, sondern „nur“ sein Staatssekretär ihn verteidigen darf, ist nach diesem symptomatischen Gemauer der Berliner Behörde unverständlich.