An diesem Prozesstag geht es zunächst um Verlesungen, die sich u.a. um den sog. NSU-Brief und die diesbezügliche Durchsuchung bei David Petereit drehen. Im Anschluss daran lehnt Götzl einen Beweisantrag von Nebenklage-Vertreter_innen zu Andreas Temme ab. Gleichzeitig betont er, dass er Temmes Aussagen für glaubwürdig hält.
Der Verhandlungstag beginnt um 09:46 Uhr. Götzl sagt, dass beabsichtigt sei, Behördenzeugnisse des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 05.07. und vom 28.06.2016 zu verlesen und nennt die Fundstellen. Dagegen gibt es keine Einwände.
Richter Lang verliest das Behördenzeugnis vom 28.06.2016. Darin wird zum Beweisantrag vom 16.06.2016 [290. Verhandlungstag] mitgeteilt, dass der VS-Abteilung des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern im Zusammenhang mit einer Spendenzahlung an „Der Weisse Wolf“ folgende Informationen aus einer Deckblattmeldung vom 04.04.2002, nicht 09.04.2002 [phon.], vorliegen würden: Bei der Zeitschrift ‚Weisser Wolf‘ aus Neustrelitz solle eine Spende von 2.500 Euro eingegangen sein. Dem sei ein Brief gefolgt, in dem sinngemäß stehe: „Macht weiter so, das Geld ist bei Euch gut aufgehoben.“ Diese Information sei, so das Behördenzeugnis weiter, in der obligatorischen Deckblattmeldung nicht enthalten: „Ich versichere, dass weder im Treffbericht noch in der Deckblattmeldung weitere Informationen enthalten sind.“ [phon.] Unterschrieben ist das Behördenzeugnis von Reinhard Müller, Leiter der Abteilung VS des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern.
Es folgt dann die Verlesung des Behördenzeugnisses vom 05.07.2016, ebenfalls durch Richter Lang. In Ergänzung des Zeugnisses vom 28.06.2016 wird darin erklärt, dass die Information in der Deckblattmeldung vom 04.04.2002 zu einer Spende von 2.500 Euro sich auf die Mitteilung einer menschlichen Quelle stütze. Andere Quellen existierten nicht. Weitere Deckblattmeldungen oder Treffberichte, in denen die Spende an den ‚Weissen Wolf‘ auftauche, seien beim VS Mecklenburg-Vorpommern nicht vorhanden [phon.]. Wieder ist das Behördenzeugnis von Reinhard Müller unterschrieben. Götzl: „Dann die Nachfrage, ob damit die Beweisanträge auf Beiziehung der Treffberichte und Deckblattmeldungen erledigt sind?“ NK-Vertreterin RAin Von der Behrens: „Ja, das sind sie.“ Auch alle anwesenden NK-Vertreter_innen, die sich dem Antrag angeschlossen hatten, erklären das.
Dann verlesen Richterin Odersky und danach Richter Lang nach der entsprechenden Ankündigung einen Durchsuchungsbeschluss vom 02.05.2012 [phon.] gegen David Petereit. Angeordnet wird demnach die Durchsuchung von Wohn- und Nebenräumen, Wahlkreis- und Abgeordnetenbüro, Räumen des Verlags sowie Fahrzeugen von Petereit zur Sicherung eines Schreibens der terroristischen Vereinigung NSU. Zuvor sei die Zustimmung der Präsidentin des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern einzuholen. Es folgt dann die Begründung, in der es zunächst allgemein um den NSU geht. Dann geht es darum, dass Tatsachen vorliegen würden, aus denen zu schließen sei, dass sich der gesuchte Brief im Bereich des Anordnungsbetroffenen [also Petereit]befindet [phon.]. Petereit sei Herausgeber und „verantwortlicher Schriftleiter“ [phon.] der Publikation „Der Weisse Wolf“ gewesen. Der „Weisse Wolf“ sei ein rechtsextremistisches Periodikum, das von 1996 bis 2005 in 20 Ausgaben erschienen sei. Die presserechtliche und tatsächliche Verantwortlichkeit des Anordnungsbetroffenen ergebe sich daraus, dass im Vorwort der Ausgabe 15 eine unter dem Pseudonym „Eihwaz“ auftretende Person die Verantwortung für die Veröffentlichung erkläre und es sei ein Email-Postfach angegeben, für das eine Weiterleitung an „eihwaz@ [nennt einen E-Mail-Hoster]“ eingerichtet sei. Bei der Weiterleitung dieser Adresse handele es sich um den Account „derweissewolf@[nennt einen E-Mail-Hoster]“, die auf Petereit registriert sei, so dass dem Anordnungsbetroffenen die Verantwortung bereits ab Ausgabe 15 zugeordnet werden könne. Auch unterhalte er das Postfach für seinen Internetversandhandel „Levensboom„, wozu er sich im „Weissen Wolf“ bekannt habe. [phon.]
Angesichts dessen sei die Behauptung des Betroffenen, er habe den „Weissen Wolf“ erst ab Ausgabe 20 betreut, als widerlegt anzusehen. [phon.] In der Ausgabe 18 befinde sich im Vorwort die Textzeile „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter…“; eine Danksagung nach derzeitigem Stand des Betroffenen an den NSU, die im Zusammenhang mit einer Bargeldspende stehe, die der NSU dem „Weissen Wolf“ vor der Ausgabe 19 habe zukommen lassen. Das basiere auf Folgendem: „Der Weisse Wolf“ habe 2001 einen Spendenaufruf zu seinen Gunsten auf seiner Website platziert. Die Auswertung einer Festplatte aus der Frühlingsstraße habe ergeben, dass der NSU einen Brief entworfen habe, mit dem Bargeldspenden an Gesinnungsgenossen verbunden gewesen seien. [phon.] Damit liege nahe, dass der NSU dem „Weissen Wolf“ eine solche Spende hat zukommen lassen. Die Ausgabe 4 des „Weissen Wolfs“ [phon.] sei zudem am 26.01.1998 in der Garage sichergestellt worden.
Da im Spendenbrief auch darauf hingewiesen worden sei, dass eine unmittelbare Kontaktaufnahme zum NSU nicht möglich sei, sei davon auszugehen dass der Betroffene in der Textzeile eine Form der Danksagung gesehen hat. Anhaltspunkte dafür, dass der NSU einer größeren Öffentlichkeit in der rechten Szene bekannt gewesen wäre, würden jedenfalls nicht bestehen. Damit würden Tatsachen vorliegen, dass sich das Beweismittel im Besitz des Betroffenen befindet. Es bestehe ferner die Erwartung, dass der Betroffene bis heute aktiv Korrespondenz im Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit in einem persönlichen Archiv, auch insbesondere in seinen geschützten Abgeordnetenräumen, verwahrt. Es folgen dann noch juristische Ausführungen, warum der Durchsuchungsanordnung die gesetzliche Privilegierung durch den Status Petereits als Mitglied des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern oder durch journalistische Tätigkeit für den „Weissen Wolf“ nicht entgegenstehen.
Danach verliest Richter Kuchenbauer den Durchsuchungsbericht zu der entsprechenden Durchsuchung am 03.05.2012 in der Wohnung von David Petereit in Papendorf. Zunächst wird kurz der Hergang bis zum Beschluss des BGH erläutert. Dann wird festgestellt, dass der Beschluss am 03.05.2012 durch BKA und LKA Mecklenburg-Vorpommern vollstreckt worden sei. Es werden die eingesetzten Kräfte aufgezählt, danach folgt eine Objektbeschreibung. Gegen 8 Uhr habe man das Objekt aufgesucht und es sei durch die Lebensgefährtin von Petereit geöffnet worden. Diese habe Petereit über die Situation informiert. Dieser sei mit Stefan Rakowski [phon.] eingetroffen. Petereit sei der Durchsuchungsbeschluss ausgehändigt worden. Er habe gesagt, dass er diesen Brief nicht besitze und kein „Messie“ sei, um solch alten Sachen aufzuheben. Petereit habe drei Ordner zur Publikation „Weisser Wolf“ dem Regal im Schlafzimmer entnommen. Im dritten Ordner sei dann der gesuchte Brief gefunden worden. [phon.] Die Durchsuchung sei daraufhin beendet, das Auffinden der Einsatzleitung mitgeteilt worden, ein Durchschlag des Durchsuchungsprotokolls sei ausgehändigt und die Wohnung verlassen worden. Der NSU-Brief sei sichergestellt worden. Petereit sei mit der Sicherstellung einverstanden gewesen. Der Bericht ist unterzeichnet von KOK Sch. [zuletzt 25. Verhandlungstag]. Es folgt die Inaugenscheinnahme einer dem Bericht angehängten Skizze des Grundrisses der Wohnung von Petereit.
Götzl: „Dann kommt zur Verlesung Durchsuchungsprotokoll vom 03.05.2012.“ Götzl verliest das Protokoll selbst. Das Protokoll benennt den Grund der Durchsuchung, die Suche nach dem NSU-Brief. Der Durchsuchung sei, so das Protokoll, nicht zugestimmt worden, die Hinzuziehung eines Zeugen sei nicht gewünscht gewesen. Die aufgeführten Gegenstände seien sichergestellt worden, sie seien freiwillig herausgegeben worden. Der Betroffene sei mit der Durchsicht von Papieren einverstanden gewesen. Es sei ein Schreiben des „NSU“ gefunden worden. Die Durchsuchung sei beendet worden. [phon.]
Danach verliest Richter Lang das Verzeichnis der sichergestellten Gegenstände. Es handelt sich dabei lediglich um den „NSU-Brief“, Asservatennummer 75.2.1.7.1. [phon.]
Götzl sagt, es werde nun ein Vermerk vom 30.11.2011 verlesen, die Seiten 1 und 2, sowie auf Seite 8 die Unterschriften. Richterin Odersky verliest den Vermerk. Es handelt sich um eine „erste Kurzbewertung“ des „NSU-Briefs“. Bei der ersten Brandschuttsichtung in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 sei eine brandgeschädigte Festplatte „Seagate 320 GB“ gefunden worden, diese habe sich in der Küche in einem Festplattengehäuse befunden [phon.]. Bei der Datenträgerauswertung sei ein Dokument „NSU-Brief.cdr“ [phon.] gefunden worden, welches einen längeren Text des NSU an mögliche Sympathisanten enthalte. Letzter Zugriff sei der 14.01.2008 gewesen, Erstelldatum 12.02.2007, das liege zeitlich nach der letzten Änderung 2002, daher könne es sich mglw. um eine Kopie handeln. [phon.] Es folgt im Vermerk der Hinweis, dass Zeitstempel sehr leicht manipuliert werden könnten und zudem vom eingestellten Datum abhängen würden. Dann verliest Odersky die Unterschrift des Vermerkerstellers.
Götzl sagt, im Folgenden werde eine Asservatenauswertung vom 22.01.2012 verlesen. Richter Lang verliest die Auswertung, bei der es um das Asservat 2.12.357 geht. [gesamte Verlesung phon.]Bei dem Asservat handele es sich um einen Notizzettel, ausgerissen, mit handschriftlichen Aufzeichnungen. Auf dem Zettel sei geschrieben worden: „HNG, Deutsches Rechtsbüro, UN, Nordische Zeitung, Weisser Wolf, Der Förderturm, Der Landser, Feuersturm, Nation Europa, Fahnenträger“. Dazu seien Internetrecherchen durchgeführt worden. Es bestehe kein Anspruch auf Vollständigkeit und kein Wahrheitsanspruch. Die Auswertung listet auf: „HNG: Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige, verbotene rechtsextremistische Organisation in Deutschland, Quelle: Wikipedia. Dt. Rechtsbüro: wahrscheinlich Deutsches Rechtsbüro, Quelle: deutsches-rechtsbuero.de. UN: Keine Auswertung möglich. Nordische Zeitung: Erscheint unter dem Dach der Artgemeinschaft vierteljährlich. Weisser Wolf: Wahrscheinlich handelt es sich um die bildliche Darstellung weißer Wölfe im Internet. Der Förderturm: Keine Anhaltspunkte. Der Landser: kriegsverherrlichende Romane, Quelle: landser.de. Der Feuersturm: Dresden, erschien bis 2003 mit 11 Ausgaben, Quelle: [Internetadresse von fanzine.aryan] Nation Europa: NE war eine deutsche politische Monatsschrift rechtsextremistischer Ausrichtung, bis zum 59. Jahrgang im November 2009, dann von Dietmar Munier gekauft und durch „Zuerst“ ersetzt, Quelle: de.wikipedia.org. Fahnenträger: Wahrscheinlich handelt es sich um einen Musiktitel von Von Thronstahl, Quelle: youtube. Fazit: die Verfahrensrelevanz ist derzeit nicht ersichtlich.“ Lang verliest danach den Zettel.
NK-Vertreter RA Hoffmann gibt eine Erklärung ab: „Damit man die Qualität dieser Auswertung nachvollziehen kann: ‚UN‘, das sind die ‚Unabhängigen Nachrichten‘. Wer sich ein bisschen damit beschäftigt, kennt die. Der ‚Förderturm‘ ist eine Nazizeitschrift und eine Internetseite. Also, die Menschen, die das hier ausgewertet haben, kannten sich nicht besonders gut aus in der rechten Szene, will ich mal euphemistisch sagen.“
Götzl: „Herr Hösl, Sie hatten einen Stellungnahme für heute angekündigt.“ Carsten Schultzes Verteidiger RA Hösl: „Nur kurz zu den Zeugen Ga. und [Timo] Ko. Herr Kollege Klemke hat ja gesagt, Herr Schultze habe sich bei den Vernehmungen so verhalten, als habe er den Erwartungen der Vernehmungsbeamten entsprechen wollen. Dem treten wir entgegen. Ich weise nur auf die Stelle hin, als die Bestellung eines Schalldämpfers angesprochen wurde.“ Schultze habe dem trotz gewichtiger Argumente der Vernehmungsbeamten vehement widersprochen und angegeben, dass eine entsprechende Bestellung nicht erfolgt sei. [phon.] Hösl weiter: „Im Übrigen: Weder in der Anhörung beim BGH, noch in der ersten Vernehmung am 06.02.2102, noch am 15.02.2012 hat es irgendeine Intervention durch mich gegeben. Es gab keinen einzigen Wunsch zur Unterbrechung durch Herrn Schultze. Herr Schultze wurde völlig ohne Aktivität meiner Person befragt, es gab keinerlei Intervention durch meine Person.“
Götzl: „Sind denn für heute Anträge vorgesehen? Keine?“ Götzl sagt, es kämen dann nach § 251Abs. 3 StPO im Freibeweisverfahren verschiedene Vermerke zur Verlesung. [gesamte Verlesung phon.]Als erstes kommt ein Vermerk des Polizeibeamten Scha. von der MK Cafe zur Verlesung betreffend TKÜ-Maßnahmen. In dem Vermerk steht, dass KD Ho. mitgeteilt habe, dass die TKÜ-Maßnahmen kritisches Verhalten der Vorgesetzten von Andreas Temme hervorgebracht hätten. Zum einen habe Fe. dem Beschuldigten [Temme] Absprachen mitgeteilt. Es bestehe die Gefahr, dass Ermittlungsziele dem Beschuldigten mitgeteilt werden. KHK Ho. sei aufgefordert worden, dies zu dokumentieren, die StA zu beteiligen und um rechtliche Prüfung zu bitten. Die Information soll auf einen möglichst kleinen Personenkreis beschränkt bleiben. Außerdem habe Frau Pi. dem Beschuldigten angekündigt, dass er schnellstmöglich in den Dienst versetzt werden solle. Ggü. KD Ho. habe Pi. angegeben, dass Temme ihr bester Mann sei. Bislang sei Temme Aufforderungen und Bitten der MK [Mordkommission] Café, zu Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen, immer nachgekommen. Pi. werde heute die Vernehmung einer von Temme geführten Quelle durchführen, ob ein Treffen tatsächlich zu dem von ihm angegebenen Zeitpunkt stattgefunden hat. Damit stehe und falle das Alibi für den Mord in Dortmund. Ein Gesuchen der MK Café, an der Vernehmung teilnehmen zu können, sei nicht genehmigt worden. KD Ho. habe mitgeteilt, dass die StA Kassel zur Zeit noch keinen Verdacht auf Verrat von Dienstgeheimnissen sehe. Die neuen Informationen seien anschließend von ihm, Scha., an Herrn Co. mit der Bitte um Weiterleitung an LPP gegeben worden: „Gezeichnet: Scha.“
Götzl kündigt die Verlesung eines Vermerks von KHK Me. an. Er nennt das Datum 15.05.2005 und sagt dann: „Gemeint ist wohl 2006, Anlage zum Beweisantrag Dierbach vom 106. Hauptverhandlungstag.“ Der Vermerk des PP Nordhessen wird von Richter Lang verlesen. [gesamte Verlesung phon.]In dem Vermerk steht, dass KOK Fa. Unterzeichner um einen Vermerk zum Aufenthalt Temmes „auf hiesiger Dienststelle“ gebeten habe. Mit Temme sei telefonisch vereinbart worden, dass er zwischen 13 und 15 Uhr zur „hiesigen Dienststelle“ komme, weil Fragen „meinerseits zur Demo hinsichtlich Mohammed-Karikaturen“ bestanden hätten. Zur Demo habe Temme nur wenige Fragen beantworten können. Temme habe sich nur 15 bis 20 Minuten hier aufgehalten, thematisiert worden seien ausschließlich Fotos der Demoteilnehmer: „Er war in seinem Verhalten völlig unauffällig.“
Es folgt dann die Verlesung eines Vermerks von Scha. auf Anregung von RA Bliwier vom 126. Verhandlungstag. Wieder verliest Richter Lang den Vermerk. [gesamte Verlesung phon.]Der Vermerk ist vom 21.06.2006. Darin teilt Scha. mit, KD Ho. habe ihm heute mitgeteilt, dass heute Vormittag eine Abstimmung zwischen MK Café und Staatsanwalt Dr. Wied stattgefunden habe zur Umsetzung der von der OFA [Operative Fallanalyse] Bayern empfohlenen Vernehmungsstrategien bei Temme. Es habe Einigkeit darüber bestanden, die empfohlene Einbeziehung der Ehefrau des Temme nicht aufzugreifen. Herr Wied werde Herrn He. anrufen, um ihm die schriftliche Einladung zu einem Gespräch zur MK Café anzukündigen. Es würden u.a. Irrgang, Pi., und He. eingeladen, um „die Unterstützungshandlungen für den Tatverdächtigen aufzuheben“. Dazu sollten einerseits die bisherigen Unstimmigkeiten erläutert und die zahlreichen Verstöße gegen Sicherheitsregeln erläutert werden. Es bestehe die Erwartung, dass Temme bisher zurückgehaltene Informationen preisgibt, sobald er feststellt, dass er „keine Rückendeckung von Vorgesetzten“ mehr erhält. Einladung und Gespräch könne zu Reaktionen seitens des LfVH führen. Deshalb waren IDP und LPP zu informieren. „Gezeichnet: Scha.“ Götzl legt dann die Mittagspause ein.
Um 12:46 Uhr geht es weiter. Götzl verliest dann einen Beschluss zu Beweisanträgen der Nebenklage Yozgat bzw. von NK-Vertreter RA Narin zum Mord an Halit Yozgat und zu Andreas Temme. Er verkündet, dass die Beweisanträge die Zeugen KD Ho. und S. von der hessischen Polizei zu vernehmen [91. Verhandlungstag], die Anträge, Dr. Pi. vom hessischen LfV zu laden und zu vernehmen und Pi.s Schreiben vom 24.03.2006 nebst Anlage in Augenschein zu nehmen und zu verlesen [92. Verhandlungstag und ergänzend 93. Verhandlungstag] sowie die Anträge, einen instruierten Vertreter der DPA als Zeugen zu vernehmen [106. Verhandlungstag], abgelehnt werden, weil sie „für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung“ seien. Außerdem abgelehnt sind die Anträge auf Verlesung und Inaugenscheinnahme mehrerer Presseveröffentlichungen vom April 2006, auf Vernehmung des Zeugen KOK Mü. und KOK Me. vom PP Nordhessen [ebenfalls 106. Verhandlungstag], weil sie „für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung“ seien. Zur Begründung macht Götzl zunächst die üblichen, meist gleichlautenden Ausführungen zur Bedeutung bzw. Bedeutungslosigkeit von Indiz- bzw. Hilfstatsachen für die Entscheidung und zur prognostischen Prüfung durch den Senat. Zur konkreten Begründung der Ablehnung der Anträge verliest er dann:
Die Antragsteller, verfolgen, so legt der Senat ihre Anträge aus, das Ziel, zu belegen, dass die Angaben des Zeugen Temme unglaubhaft sind. Eine Bestätigung der unter Beweis gestellten Tatsachen würde aber nicht dazu führen, dass der Senat die Angaben des Zeugen Temme in der Hauptverhandlung als unglaubhaft und unvollständig ansehen würde. Der Senat würde folglich auch nicht die mögliche Beteiligung der Angeklagten Zschäpe, Wohlleben und Schultze an den ihnen vorgeworfenen Taten oder die möglichen Rechtsfolgenfragen hieran angepasst anders beurteilen.
Die Angaben des Zeugen Temme in der Hauptverhandlung sind nach vorläufiger Würdigung glaubhaft: 1. Inhaltlich führte der Zeuge zur Tat zulasten Halit Yozgats aus, er habe sich am Tattag, dem 06.04.2006, in dem Internetcafé des Opfers aufgehalten. Er habe sich nur einige Minuten dort aufgehalten. Er dürfte dort kurz vor 17.00 Uhr an gekommen sein. Das Opfer habe ihm einen Internetplatz im hinteren Raum des Cafés zugewiesen. Von dort aus habe man den vorderen Raum, wo sich der Tresen und der Arbeitsplatz des Opfers befunden haben, nicht sehen können. Er habe lediglich kurze Zeit auf dem Kontaktportal nach für ihn eingegangenen Nachrichten gesucht und habe, soweit erinnerlich, auch etwas geschrieben. Dann habe er seinen Platz wieder verlassen und habe im vorderen Raum die Nutzungsgebühr entrichten wollen. Er habe das Opfer aber dort nicht gesehen. Er habe die Räume des Cafés verlassen und sei auf die Straße hinausgegangen. Auch dort habe er den Inhaber nicht gesehen. Er sei dann nochmals zurück durch den vorderen Raum in den hinteren Internetraum gegangen. Auch dort habe er den Inhaber nicht gesehen. Er sei dann zurück in den vorderen Raum und habe auf dem Tresen 50 Cent als Bezahlung für die Internetnutzung abgelegt. Er habe auch dabei das Opfer nicht gesehen.
2. Diese Angaben sind glaubhaft. Dies gilt auch dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen, die der Senat insgesamt als seien sie erwiesen unterstellt, in die Glaubhaftigkeitsprüfung eingestellt werden: a. Der Zeuge Temme wurde am 01.10.13, am 03.12.13, am 29.01.14, am 12.03.14, am 15.04.14 und am 30.06.15 in der Hauptverhandlung vernommen, so dass der Senat einen umfassenden persönlichen Eindruck von dem Zeugen gewinnen konnte. Der Zeuge Temme schilderte dabei sachlich, nachvollziehbar und plausibel seine Wahrnehmungen im Zusammenhang mit der Tat vom 06.04.2006 in Kassel. Er unterschied dabei ausdrücklich und penibel zwischen Umständen, an die er noch eine sichere eigene Erinnerung hatte und solchen Umständen, die ihm nur aufgrund von Informationen aus den Medien bzw. aufgrund seiner zahlreichen Vorvernehmungen noch präsent waren. Bei seiner Schilderung räumte er unumwunden auch Fehler im eigenen Verhalten ein, die er plausibel und nachvollziehbar erklärte. So führte er aus, sein größtes Versagen im Tatzusammenhang habe darin bestanden, dass er sich nicht als Zeuge gemeldet habe, obwohl er im zeitlichen Zusammenhang mit der Tat am Tatort anwesend gewesen sei. Er habe schlicht Angst davor gehabt, sich als Zeuge zu erkennen zu geben, da dann sein Aufenthalt am Tatort offenbar geworden wäre. Dies habe er sowohl aus privaten als auch aus dienstlichen Gründen vermeiden wollen. Er habe am Tatort, einem Internetcafé, in dem Kontaktportal „Ilove.de“ nach an ihn gerichteten Nachrichten gesucht. Er habe vermeiden wollen, dass dies seine Ehefrau erfahren würde. Das Internetcafé habe sich zudem in der Nähe eines vom Verfassungsschutz überwachten Objekts befunden. Er sei davon ausgegangen, dass er sich als V-Mann-Führer dort nicht hätte aufhalten sollen.
b. Die Angaben des Zeugen Temme stimmen hinsichtlich wesentlicher Details überein mit den Angaben weiterer zur Tat gehörter Zeugen. Hierdurch wird die Einordnung seiner Angaben als glaubhaft zusätzlich gestützt:
i. So wird der Umstand, dass der Zeuge Temme am Tattag am Tatortcafé nur kurze Zeit das Internet nutzte, bestätigt durch die Angaben der Zeugen A.-T. und KHK Bi.: Der Zeuge A.-T. führte in der
Hauptverhandlung [76. Verhandlungstag] glaubhaft zum Zeugen Temme aus, dieser habe sich am Tattag im hinteren Internetraum des Cafés an einen Computer gesetzt. Temme habe sich aber kurz im Internetraum aufgehalten und sei dann wieder gegangen. Der Polizeibeamte Bi. [40. Verhandlungstag] führte glaubhaft aus, die Ermittlungen an der Internetanlage des Cafés Yozgat hätten ergeben, dass sich der Zeuge Temme am Tattag lediglich von 16.51 Uhr bis 17.01 Uhr dort ins Internet eingeloggt habe.
ii. Der Zeuge Temme gab an, er habe beim Hinausgehen aus dem Café eine 50-Cent Münze als Bezahlung auf den Tresen gelegt. Der Umstand, dass sich eine 50-Cent Münze auf den Tresen befand, wird bestätigt durch die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbilder vom Tatort, die in der Hauptverhandlung glaubhaft vom Erkennungsdienstbeamten It. [40. Verhandlungstag] erläutert worden sind.
c. Der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme wird nicht durch andere in der Beweisaufnahme thematisierte Umstände und auch nicht durch die unter Beweis gestellten Tatsachen, die als erwiesen unterstellt werden, erschüttert oder beseitigt:
i. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme ergeben sich nicht aus dem Umstand, dass der Zeuge die oder den Täter bei der Tatausführung nicht gesehen hat. 1. Nach den glaubhaften Ausführungen des Polizeibeamten Bi. war der Zeuge Temme im Zeitraum von 16.51 Uhr bis 17.01 Uhr im Internet eingeloggt. Der Polizeibeamte Bi. berichtete weiter, eine durchgeführte Rekonstruktion der verschiedenen Tätigkeiten des Zeugen Temme nach dem Ausloggen, also sein Gang zur Straße durch den vorderen Raum und zurück in den hinteren Raum und wieder hinaus durch den vorderen Raum auf die Straße zu seinem Auto, habe ergeben, dass dafür Zeit im Bereich von knapp über einer Minute benötigt würde. Somit hätte der Zeuge Temme das Café etwa um 17.02 Uhr endgültig verlassen. Der Zeuge Sh. habe sein letztes Telefonat um 17.03 Uhr beendet. Dieser habe dann die von ihm genutzte Telefonzelle verlassen und sei dann kurz darauf auf den Vater des Opfers getroffen. Letzterer habe unmittelbar danach das Opfer entdeckt. 2. Die Tat wurde nach Überzeugung des Senats begangen, als der Zeuge Temme im Internet eingeloggt war. Im Zeitraum von 16.51 Uhr bis 17.01 Uhr saß der Zeuge Temme eingeloggt im hinteren Internetraum, von wo aus er die Vorgänge im vorderen Telefonraum – dem unmittelbaren Tatort – nicht beobachten konnte. a. Die Feststellung des Tatzeitraums ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Zeugen Sh., die von den Vernehmungsbeamten Ro. [88. Verhandlungstag], Ge. [104. Verhandlungstag] und W. [135. Verhandlungstag] glaubhaft in der Hauptverhandlung berichtet wurden.
Dabei war sich der Senat bewusst, dass die Angaben mit besonderer Vorsicht zu würdigen waren, da sie lediglich durch Zeugen, vom Hören-Sagen eingeführt werden konnten. Sh. habe danach ausgeführt, er habe am Tattag in dem Café telefoniert. Er wisse nicht mehr wann, aber zu Beginn seiner Telefonate habe er zwei bis drei Knallgeräusche gehört. Diese hätten sich angehört wie das Platzen eines Luftballons. Ca. 10 bis 15 Sekunden nach den Geräuschen habe er aus den Augenwinkeln heraus eine Person in Richtung Ausgang des Cafés verschwinden sehen. Er habe danach seine Telefonate fortgeführt und nach Beendigung der Gespräche habe er die Telefonzelle verlassen, aber das Opfer nicht mehr gesehen. Er habe kurz vergeblich nach dem Opfer gesucht. Dabei sei er auch nach hinten in den Internetraum gegangen. Dann habe der Vater des Opfers das Internetcafé betreten und habe das Opfer tot hinter dem Tresen gefunden. Der Zeuge KHK Bi. führte in diesem Zusammenhang glaubhaft aus, seine Ermittlungen hätten ergeben, dass der Zeuge Sh. in dem Café von 16.54 Uhr bis 17.03 Uhr telefoniert habe.
b. Die optischen und akustischen Wahrnehmungen des Zeugen ordnet der Senat unmittelbar tatbezogen ein. Die abgegebenen Schüsse nahm der Zeuge als Knallgeräusche wahr. Zusätzlich sah er einen Täter, als sich dieser vom Tatort entfernte. c. Aus den Geräuschwahrnehmungen des Zeugen Sh. und seinen optischen Wahrnehmungen jeweils in der Telefonzelle schließt der Senat, dass das Opfer jedenfalls nach 16.54 Uhr erschossen wurde. Der Zeuge Sh. gab an, er habe die Geräusche zu Beginn seiner Telefonate gehört und nach den Wahrnehmungen noch weiter telefoniert: Aus der Wendung „zu Beginn seiner Telefonate“ schließt der Senat, dass der Zeuge die Geräusche um 16.54 oder danach, aber jedenfalls mehr als zwei Minuten vor der Beendigung seiner Telefonate um 17.03 Uhr gehört hat und dass damit auch die Tat jedenfalls vor 17.01 Uhr begangen worden ist. Der Zeuge Temme verließ seinen Internetplatz um 17.01 Uhr und demnach erst nach der Tatausführung. d. Gegen diese Annahme der Tatbegehung in dem genannten Zeitraum spricht auch nicht der Umstand, dass die Zeugin Ca. [41. Verhandlungstag] in der Hauptverhandlung angab, sie habe ein Geräusch wie „TacTacTac“ gehört. Sie könne jedoch nicht sagen, um welche Art von Geräusch es sich handelte. Es könne beispielsweise ihr spielendes Kind gewesen sein, das mit ihr in dem speziellen Familien Telefonraum gewesen sei. Vor diesem Hintergrund ist es ohne Bedeutung, wann es zu diesem Geräusch gekommen war. Das Geräusch kann nämlich der Tatbegehung nicht zugeordnet werden.
e. Gegen die Annahme der Tatbegehung im genannten Zeitraum sprechen auch nicht die Angaben des Zeugen A.-T., der angab, er glaube, er habe ein Geräusch gehört, nachdem der Zeuge Temme den Internetraum verlassen habe. Der Zeuge A.-T. führte aus, er habe ein Geräusch gehört. Er habe gedacht, es sei etwas heruntergefallen. Er könne es aber nicht mehr einordnen, ob der Zeuge Temme den Internetraum vor oder nach dem Wahrnehmen des Geräuschs verlassen habe. Herr Temme habe den Raum nach nicht einmal zwei Minuten Internetnutzung wieder verlassen. Er glaube, es habe danach nochmal 2-3 Minuten gedauert bis er das Geräusch gehört habe; dann erneut 2-3 Minuten oder auch 5 Minuten später habe er dann den Vater des Opfers laut schreien hören. Dieser habe seinen toten Sohn entdeckt gehabt. Aus den Angaben dieses Zeugen vermag der Senat keine Schlüsse hinsichtlich der Tatzeit zu ziehen. Es besteht zwar die Möglichkeit, dass das vom Zeugen wahrgenommene Geräusch mit der Tat im Zusammenhang steht. Allerdings kann der Zeuge den Zeitpunkt seiner Wahrnehmung nicht einmal mehr grob angeben. Er vermag nicht zu sagen, ob er das Geräusch hörte, als der Zeuge Temme noch im Internetraum war, d.h. vor 17.01 Uhr, oder ob er es wahrnahm, als der Zeuge Temme den Raum schon verlassen hatte, also nach 17.01 Uhr. Zudem offenbaren die Angaben des Zeugen weitere Unsicherheiten hinsichtlich zeitlicher Angaben. So gibt der Zeuge die Zeit der Internetnutzung durch den Zeugen Temme mit nicht einmal 2 Minuten an. Aus den glaubhaft vom Zeugen Bi. berichteten Ermittlungen ergibt sich allerdings, dass der Zeuge Temme 10 Minuten, nämlich von 16.51 Uhr bis 17.01 Uhr im Internet eingeloggt war.
ii. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme ergeben sich nicht aus dem Umstand, dass der Zeuge das Opfer beim Hinausgehen aus dem Internetcafé nicht gesehen hat:
1. Die fehlende Wahrnehmung des Opfers durch den Zeugen Temme ist nach Ansicht des Senats aus folgenden Umständen plausibel und nachvollziehbar: a. Der Zeuge Temme hat glaubhaft ausgeführt, er habe nach dem Opfer in beiden Räumen des Cafés und vor dem Café auf der Straße gesucht, um seine Internetnutzung zu bezahlen. Das hinter dem Tresen liegende Opfer habe er nicht gesehen. b. Der Zeuge Sh., dessen glaubhafte Angaben durch die bereits genannten Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, gab an, er sei von seiner Telefonzelle im vorderen Raum einmal durch den Vorraum in den hinteren Raum des Cafés gegangen und dann von dort wieder zurück in den vorderen Raum und habe dort dann auf Fensterhöhe gewartet. Dann habe der Vater des Opfers das Café durch die Eingangstür betreten. Erst nachdem der Vater des Opfers das Opfer hinter dem Tresen gefunden habe, habe auch er Halit Yozgat dort bemerkt. Der Zeuge Sh. ging demnach auf dem Weg zum hinteren Raum und auf dem Weg in den Vorraum zweimal an dem Tresen, hinter dem das getötete Opfer lag, vorbei, ohne dieses zu bemerken.
2. Aus den Angaben des Zeugen Sh. schließt der Senat, das Opfer habe nach der Tat derart hinter dem Tresen gelegen, dass es beim Vorbeigehen nicht in jedem Fall bemerkt werden musste. Zudem berücksichtigte der Senat, dass der Zeuge Temme das Opfer in den Räumen suchte und es für ihn keine Veranlassung gab, hinter den Tresen nach unten auf den Boden zu blicken. Gleiches gilt für die Situation der Geldablage auf dem Tresen. Aus diesen Gründen kommt dem Umstand, dass der Zeuge Temme aufgrund seiner Körpergröße einen für die Wahrnehmung des am Boden liegenden Opfers geeigneteren Blickwinkel hatte, als der kleinere Zeuge Sh., keine Bedeutung mehr zu.
iii. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme ergeben sich nicht aus den Angaben der Zeugen E. [91. Verhandlungstag] und KOK Tei. [135. Verhandlungstag] Aus deren Angaben ergibt sich nicht, dass dem Zeugen Temme bereits vor der Presseveröffentlichung bekannt war, dass die in Kassel zur Tat zulasten von Halit Yozgat verwendete Waffe bereits bei mehreren Taten im gesamten Bundesgebiet eingesetzt worden war:
1. Die Zeugin E. gab in diesem Zusammenhang glaubhaft an, sie habe in Erinnerung, dass sie mit ihrem Kollegen Temme am Montag nach der Tat in Kassel, also am 10.04.2006, am Vormittag ein Gespräch geführt habe. Ihr Vorgesetzter habe sie vorher gebeten, Herrn Temme dabei damit zu beauftragen, vom PP Nordhessen weitere Informationen zu der Tat einzuholen. Diesen Auftrag habe sie bei dem Gespräch an den Zeugen Temme weitergegeben. Bei dem Gespräch hätten sie auch zur Tat spekuliert, z.B. ob es sich um eine Tat mit Drogenhintergrund gehandelt habe. Ihr Kollege Temme habe angesprochen, dass es sich bei dem Täter um den bundesweit tätigen Serientäter gehandelt haben könne. Ob er letzteres allerdings bei dem Gespräch am Vormittag gesagt habe oder erst, als er vom PP Nordhessen am Nachmittag wieder in die Dienststelle zurückgekehrt sei, wisse sie nicht.
2. Der Zeuge KHK Tei. führte in der Hauptverhandlung glaubhaft aus, er habe zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Kollegen F. Frau E. am 02.05.2006 befragt. Sie hätten kein förmliches Vernehmungsprotokoll aufgenommen, sondern das Ergebnis der Befragung in Vermerkform niedergelegt. Allerdings hätten sie sich während der Befragung von Frau E. handschriftlich Notizen gemacht. Frau E. hätte ihnen erläutert, dass ihr der Zeuge Temme u.a. am Montag, den 10.04.06 gesagt habe, der Mord habe offensichtlich keinen regionalen Bezug, da die Waffe bereits bei mehreren Taten im gesamten Bundesgebiet eingesetzt worden sei. Sie hätten Frau E. nicht gefragt, ob sie an diesem Tag mit Herrn Temme nach dessen Besuch beim PP Nordhessen nochmals gesprochen habe. Er gehe jedoch nicht davon aus. Dies schließe er daraus, weil die Tat zulasten des Opfers Halit Yozgat nach den Ermittlungen des verstorbenen Kollegen F. durch den Zeugen Temme im PP Nordhessen an diesem Tag gar nicht angesprochen worden sei.
3. Aus diesen Angaben zieht der Senat nicht den Schluss, dass die Zeugin E. am Montag, den 10.04.2006, mit dem Zeugen Temme nur einmal und zwar am Vormittag gesprochen hat. a. Die Zeugin E. konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob sie an diesem Tag mit dem Zeugen Temme ausschließlich am Vormittag oder zusätzlich auch noch am Nachmittag gesprochen hat. Der Zeuge KHK Tei. schloss lediglich darauf, dass es nur ein Gespräch am Vormittag gegeben habe. Die Umstände, die ihn diesen Schluss ziehen ließen, rechtfertigen nach Ansicht des Senats diesen Schluss jedoch nicht. Dass nach den Ausführungen des Zeugen Tei. die gegenständliche Tat im PP Nordhessen nicht Gesprächsgegenstand war, sagt nichts darüber aus, ob der Zeuge Temme nicht noch am Nachmittag in seiner Dienststelle mit seiner Kollegin E. nochmals gesprochen hat, zumal in der Außenstelle Kassel zu diesem Zeitpunkt nur sechs Personen tätig waren. b. Damit besteht auch die Möglichkeit, dass der Zeuge Temme von der mehrmaligen Verwendung der Tatwaffe nach der Veröffentlichung dieses Umstands aus den Medien (z.B. Internet) erfahren hat und dies seiner Kollegin E. erst am Nachmittag berichtet hat. Der Zeuge Temme gab hierzu an, er könne sich nicht mehr daran erinnern, wann und woher er die Information zur Tatwaffe erhalten habe.
iv. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme er geben sich nicht aus dem Umstand, dass ihm vom Zeugen Hess [213. Verhandlungstag] im Telefonat vom 09.05.2006 der Ratschlag gegeben wurde, Temme solle bei seinen Angaben „nah an der Wahrheit“ bleiben:
1. Die Antragsteller vermuten, der Rat von Herrn Hess, der Zeuge Temme solle nur „nah an der Wahrheit“ bleiben, bedeute, er solle nicht vollständig die Wahrheit sagen.
2. Der Senat hat das Telefonat vom 09.05.2006 durch Abspielen in Augenschein genommen. Der Zeuge Hess hat dem Zeugen Temme im Telefonat den Rat gegeben, nah an der Wahrheit zu bleiben. Der Zeuge Temme hat nach Überzeugung des Senats jedoch gleichwohl zu allen Sachverhalten in der Hauptverhandlung die Wahrheit gesagt und nicht nur „nahe an der Wahrheit“ berichtet. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge Temme in der Hauptverhandlung Details verschwiegen oder Sachverhalte unzutreffend bzw. lückenhaft dargestellt hat, sind nicht vorhanden. Der Zeuge Hess hat in der Hauptverhandlung glaubhaft angegeben, den gegenständlichen Rat gebe er als Geheimschutzbeauftragter regelmäßig, da er für die Einhaltung der Verschlusssachenanweisung zuständig sei. Mit der Wendung habe er lediglich auf diese Regelungen hinweisen wollen.
v. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme ergeben sich nicht aus den am 91. Verhandlungstag unter Beweis gestellten Tatsachen:
1. Die unter Beweis gestellten Tatsachen betreffen zusammengefasst den Verdacht der Antragsteller, dass Mitarbeiter des Verfassungsschutzes dem Zeugen Temme ihn betreffende Ermittlungsinhalte und Absprachen mitgeteilt haben und dass er vom Landesamt hinsichtlich seines weiteren Vorgehens im Ermittlungsverfahren beraten wurde.
2. Der Senat hat diese Umstände als erwiesen unterstellt. Diese Umstände deuten allerdings nicht darauf hin, dass der Zeuge Temme deshalb in der Hauptverhandlung die Unwahrheit gesagt hätte. Sie stellen deshalb auch keine Grundlage dar, aufgrund derer der Senat Schlüsse ziehen würde, welche die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme in Frage stellen.
3. Die weiteren Umstände (Berichtspflicht, Vermerkanfertigung, weiteres Telefonat) haben für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Zeugen Temme erkennbar keine Bedeutung.
4. Den Vermerk von Karl-Heinz S. vom 01.06.2006 hat der Senat im Freibeweisverfahren verlesen.
vi. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme ergeben sich nicht aus den am 92. und 93. Verhandlungstag unter Beweis gestellten Tatsachen:
1. Die unter Beweis gestellten Tatsachen betreffen eine im März 2006 erfolgte Information des Zeugen Temme über die sogenannte Ceska-Serie und damit zusammenhängende Umstände.
2. Der Senat hat diese Umstände als seien sie erwiesen unterstellt. Der Umstand, dass der Zeuge Temme über die Ceska-Serie informiert war, lässt keinen Zusammenhang mit der Aussage des Zeugen Temme in der Hauptverhandlung erkennen. Der Senat zieht deshalb aus diesem Umstand keine Schlüsse, welche die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme in Frage stellen.
3. Die weiteren unter Beweis gestellten Tatsachen im Zusammenhang mit dem BKA haben für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Zeugen Temme erkennbar keine Bedeutung.
vii. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme ergeben sich nicht aus den am 106. Verhandlungstag unter Beweis gestellten Tatsachen:
1. Die genannten Tatsachen hat der Senat als seien sie erwiesen unterstellt. Relevanz für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme könnten den Veröffentlichungen, dem Veröffentlichungszeitpunkt und den Angaben der Polizeibeamten KOK Mü. und KOK Me. dann zukommen, wenn dem Zeugen Temme der Umstand, dass die Tat in Kassel mit einer Waffe begangen wurde, die bereits bei mehreren Taten im gesamten Bundesgebiet eingesetzt worden war, bereits vor der Veröffentlichung dieser Tatsache bekannt war und zudem auch keine Mitteilung dieses Umstands durch Polizeibeamte erfolgt war.
2. Nachdem aber, wie bereits dargelegt, das Gespräch mit der Zeugin E. über die Waffe auch erst am Nachmittag und somit nach der medialen Veröffentlichung stattgefunden haben kann, erschüttern die unter Beweis gestellten Umstände die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme nicht.
viii. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme ergeben sich auch nicht aus den Einlassungen der Angeklagten Zschäpe und Wohlleben in der Hauptverhandlung. Aus den Aussagen ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass der Zeuge Temme und/oder eine Verfassungsschutzbehörde in die Tat zulasten von Halit Yozgat in welcher Form auch immer verwickelt sein könnten.
ix. Der Senat hat sodann nochmals in einer zusammenfassenden Würdigung alle hier und in anderen Anträgen in diesem Zusammenhang unter Beweis gestellten Tatsachen gemeinsam als erwiesen angesehen und vor diesem Hintergrund die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme nochmals einer Prüfung unterzogen. Auch bei dieser Gesamtbetrachtung ergeben sich keine Umstände, die den Senat an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Temme zweifeln lassen.
3. Hinsichtlich der Angeklagten Gerlach und Eminger und deren Tatvorwürfen liegt es auf der Hand, dass die hier unter Beweis gestellten Tatsachen tatsächlich ohne Bedeutung sind. Diesen Angeklagten wird keine Beteiligung an der Tat zulasten Halit Yozgats vorgeworfen.
Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass den Anträgen den Aktenbestand des 2. Bundestags-UA zur Verfahrensakte beizuziehen, nicht nachgekommen wird. Es handele sich um einen Beweisermittlungsantrag. Götzl macht die üblichen Ausführungen zu Beweisermittlungsanträgen. Der Antrag behaupte, aus den Akten würde sich ergeben, dass Temme von seinen Vorgesetzten über sein Ermittlungsverfahren informiert wurde. Der Senat könne aber offenlassen, ob es zu so einer Informationsweitergabe gekommen ist. Die StA habe einen Verdacht auf Verrat von Geheimnissen ausdrücklich verneint. Unter Würdigung des aktuellen Prozessstands sei nicht ersichtlich, dass der Inhalt der Akten für die Feststellung der vorgeworfene Taten oder Rechtsfolgen oder die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben von Temme von Relevanz sei.
Götzl: „Damit wären wir für heute am Ende. Sind denn noch Anträge oder Erklärungen? Keine? Für morgen ist geladen der Zeuge Petereit. Dann wird unterbrochen und fortgesetzt morgen, 9:30 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet um 13:24 Uhr.
Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Aufklärungswille niedrig – Verurteilungswille hoch – Verfassungsschutz schützen: 100% […] Nach der obligatorischen Mittagspause lehnte das Gericht weitere Beweisanträge ab, diesmal Anträge aus dem Februar und April 2014 (!) zu den Versuchen des Hessischen Verfassungsschutzes, die Ermittlungen wegen des NSU-Mordes an Halit Yozgat in Kassel zu behindern und den VS-Mitarbeiter Temme zu schützen, der am Tatort gewesen war, aber behauptet hatte, er habe nichts mitbekommen. Auch diese Involvierung des Verfassungsschutzes ist also für das Gericht ‚aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung‘. Dabei legte sich das Gericht darauf fest, die Angaben Temmes, er habe vom Mord nichts mitbekommen und auch beim Verlassen des Internetcafés nicht die Leiche Yozgats gesehen, seien glaubhaft – eine Aussage, die selbst den Einschätzungen der meisten Ermittler widerspricht und die den Gesichtsausdrücken zu Folge selbst bei der Bundesanwaltschaft Erstaunen auslöste. Dem Beschluss ist deutlich anzunehmen, dass das Gericht alle möglichen Zweifel hinsichtlich des Geschehens in Kassel wegwischen und einfach anklagegemäß verurteilen will, ohne sich mit dem Thema Verfassungsschutz irgendwie befassen zu müssen. Die Begründung zeigt, wie kreativ ein Staatsschutzsenat am OLG seine Sicht des Ergebnisses der Beweisaufnahme darstellen kann.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/07/12/12-07-2016