Protokoll 341. Verhandlungstag – 26. Januar 2017

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Zu Beginn des Verhandlungstag sagt Jens Ku. aus, der früher beim Staatsschutz in Jena tätig war. Er soll Angaben zur machen, insbesondere zu Ralf Wohlleben. Da dieser aber früher „Chefsache“ gewesen sei, kann Ku. dazu kaum Aussagen treffen. Anschließend daran spricht der Psychiatrische Sachverständige Prof. Dr. Henning Saß zu seinen Beobachtungen, die er während des Prozesses bzgl. Beate Zschäpe gemacht hat.

Zeuge und Sachverständiger:

  • Jens Ku. (Kriminalbeamter, ehem. Staatsschutz Jena, Angaben zu Ralf Wohlleben)
  • Prof. Dr. Henning Saß (Psychiatrischer SV, Begutachtung von Beate Zschäpe)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Wir haben zunächst den Zeugen Ku. geladen.“ Jens Ku. wird belehrt und seine Personalien werden festgestellt. Dann sagt Götzl: „Herr Ku., es geht uns um Informationen, die Sie gegebenenfalls haben im Hinblick auf Aktivitäten und Äußerungen des Ralf Wohlleben in Bezug auf Ausländer-/ Asylpolitik, des weiteren im Hinblick auf Straftaten von Angehörigen der rechten Szene, hier geht es uns insbesondere um die Kameradschaft Jena, THS und um Straftaten gegen Ausländer. Wenn Sie mal schildern, wie weit Sie in Ermittlungen eingebunden waren.“ Ku.: „Seit April 1994 war ich im Staatsschutz der KPI Jena tätig, mehrere Jahre bis Oktober 1997. Während dieser Zeit war ich u.a. für sechs Monate im LKA in der Soko Rex tätig. Außerdem war ich in dieser Zeit gelegentlich abgeordnet zu anderen Sokos, also die Staatsschutzzeit war nicht vollumfänglich, die Sokos bearbeiteten andere Fälle. In den 90ern, so ab '94 bildete sich im Raum Jena die Kameradschaft Jena. In Bezug auf die Kameradschaft war Kameradschaftsführer André Kapke. Die mir bekannten Mitglieder waren Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe, ein Herr Apel und viele andere. Ab '94 fiel die Kameradschaft Jena damit auf, in dem sie vorwiegend Propagandastraftaten beging, also es wurden wilde Plakatierungen zu Rudolf Heß getätigt, es wurden Spruchbänder aufgehangen, was später dazu führte, dass aus der Kameradschaft Jena heraus über die Autobahn eine Puppe mit der ersten gehangen wurde. Straftaten gegen ausländische Mitbürger sind mir aus diesem Zeitpunkt [phon.] nicht bekannt, weder von der Gruppe noch von Herrn Wohlleben.“

Götzl: „Hatten Sie mal Kontakt zu Herrn Wohlleben in der Zeit?“ Ku.: „Ich hatte keinen Kontakt zu Wohlleben. Herr Wohlleben war bei uns im Staatsschutz Chefsache und wurde vom Leiter bearbeitet.“ Götzl: „Waren Sie mal in Ermittlungen eingebunden, die Herrn Wohlleben betroffen hätten, als Beschuldigter oder Zeuge?“ Ku.: „Da sind mir keine erinnerlich.“ Götzl: „Haben Sie ansonsten von Kollegen dienstlich Informationen in Bezug auf Herrn Wohlleben gewonnen hinsichtlich seiner politischen Ansichten, im Hinblick auf das genannte Thema Ausländer-/ Asylpolitik?“ Ku.: „Da habe ich keinerlei Kenntnis. Ich kenne Herrn Wohlleben als Papierlage sozusagen, als Anmelder von Veranstaltungen, z.B. Fest der Völker.“ Offenbar gibt es Unklarheit über den Begriff „Papierlage“. Ku.: „Papiere von anderen Behörden.“ [phon.] Götzl: „Welche Veranstaltungen?“ [phon.] Ku.: „Wie gesagt, Fest der Völker. Dort trafen sich praktisch Gleichgesinnte zu dieser Veranstaltung.“ Götzl: „Demonstrationen, können Sie dazu was sagen, der damaligen rechten Szene?“ Ku.: „Inhalte sind mir heute nicht mehr erinnerlich, müsste auf Vermerke zurückgreifen, aber ich habe da definitiv keine geschrieben. Da müsste man auf Vermerke anderer Beamten zurückgreifen.“ Götzl: „Nein, mir geht's um Ihre Informationen.“ Ku.: „Ich habe keine Informationen dazu.“ Götzl: „Sind Fragen von Seiten des Senats an den Zeugen, von Seiten der Bundesanwaltschaft, von Seiten der Verteidiger?“

Wohlleben-Verteidiger RA Klemke: „Sie führten aus, dass die Kameradschaft Jena vorwiegend mit Propagandastraftaten aufgefallen sei, erwähnten wilde Plakatierungen zu Rudolf Heß und den an der Autobahnbrücke. Abgesehen vom Puppentorso: Was für Propagandastraftaten?“ Ku.: „Es wurden Flugblätter verteilt über das Thema Rudolf Heß. Das waren die Anfänge der Kameradschaft, man befasste sich damit, das Gedenken an Rudolf Heß hochzuhalten.“ Klemke: „Inwieweit handelte es sich um Straftaten?“ Ku.: „Wir haben die Flugblätter vorerst als Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen [phon.] aufgefasst, denn Rudolf Heß war, glaube ich, in Uniform und mit einer Hakenkreuzbinde abgebildet. Zu prüfen war das sowieso durch den Staatsanwalt.“ Klemke: „Also 86a?“ Ku.: „86a .“ Klemke: „Okay. Waren das Flugblätter oder Plakate?“ Ku.: „Unterschiedlich. Ich weiß nicht wo die Abtrennung da liegt. Das Flugblatt kann ich genauso an eine Hauswand kleben oder an einen Lichtmast.“ Klemke: „Soll ich jetzt eine Frage beantworten? Bin ich hier Zeuge, Herr Ku.?“

Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Sie erwähnten Transparente an Brücken, inwieweit waren da Straftaten Ermittlungsgegenstand?“ Ku.: „1995 wurde erstmals ein Transparent [phon.] an einer Autobahnbrücke aufgehangen, wo ‚Hess‘ mit Doppel-Sig-Rune geschrieben wurde.“ Schneiders: „Danke.“ Klemke: „Ist bezüglich des Transparentes mit Doppel-Sig-Rune ein Tatverdächtiger ermittelt worden?“ Ku.: „Kann ich Ihnen nicht sagen, wer dort konkret ermittelt wurde.“ Klemke: „Sie können nicht sagen, ob dieser Vorgang irgendwas mit der Kameradschaft Jena zu tun hat?“ Ku.: „Das kann ich nicht sagen, aber ein Jahr später wurde an derselben Brücke dieser Torso mit Davidstern aufgehangen, wo die Ermittlungen zur Kameradschaft führten.“ Klemke: „Bei den Flugblättern und Plakaten, ist denn da ein Tatverdächtiger ermittelt worden?“ Ku.: „Ist mir nicht geläufig.“ Klemke: „Ist Ihnen nicht geläufig.“ Ku. „Es gab einen Verdacht: Herr Kapke. Es gab auch eine Beschuldigtenvernehmung. Kapke gab zu, über solche Wurfzettel zu verfügen und sie auch verteilt zu haben.“ Klemke: „Ist ein Strafverfahren gegen Herrn Kapke eingeleitet worden?“ Ku.: „Ja.“ Klemke: „Haben Sie Kenntnis, wie das ausgegangen ist?“ Ku.: „Nein, ich habe von keinem Verfahren, was damals geführt wurde, Kenntnis, wie das ausgegangen ist.“

Schneiders: „Ihre Informationen über Mitglieder der Kameradschaft Jena, worauf gründen sich Ihre Informationen?“ Ku.: „Dass man sich gemeinsam getroffen hat, diese Personen haben gemeinsam Orte aufgesucht, und dass man sich später als Kameradschaft zu erkennen gab. Man führte in Thüringen den sogenannten Gauwinkel oder Gaudreieck ein. Ein schwarzes Dreieck mit der Aufschrift ‚Thüringen‘.“ Schneiders: „Wie stellen Sie da den Bezug her zur Kameradschaft Jena?“ Ku.: „Die Kameradschaft Jena war ein Bestandteil der Kameradschaft Thüringen, oder nein, des Heimatschutzes Thüringen. Das waren Sektionen damals, die Kameradschaften. So gab es das Gaudreieck auch mit der Aufschrift ‚Jena‘. Im Detail kann ich Ihnen aber nicht sagen, wer die getragen hat.“

Carsten Schultzes Verteidiger RA Pausch: „Können Sie was mit dem Begriff anfangen?“ Ku.: „Ja. Winzerclub war Anfang der 90er Jahre Treffpunkt von Jugendlichen, hier hielten sich gelegentlich auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe auf. In einem Fall konnte ich selbst wahrnehmen, dass Frau Zschäpe und Herr Böhnhardt im Außenbereich dort waren. Wann genau das war, kann ich nicht mehr sagen.“ Pausch fragt, ob Ku. auch Wohlleben im Winzerclub wahrgenommen habe. Ku.. „Nein.“ Pausch: „Ist Ihnen was über Geburtstagspartys bekannt, die dort gefeiert wurden?“ Ku.: „Ja, es wurden da Geburtstagspartys gefeiert.“ Pausch fragt nach Personen. Ku.: „Ich kann dazu keine Ausführungen machen, ich war in die Ermittlungen nicht eingebunden. Die Geburtstagsfeiern wurden auch immer [phon.] erst im Nachhinein bekannt, wir hatten keine Erkenntnisse im Vorfeld, dass überhaupt gefeiert wird.“ Pausch: „Wer hat da gefeiert?“ Ku.: „Darüber habe ich auch keine Kenntnisse.“

Zschäpe-Verteidiger RA Stahl sagt, RAin Schneiders habe eben schon nach der Mitgliedschaft in der KS Jena gefragt: „Welche Erkenntnisse haben Sie zum Mitgliedschaftsstatus der Personen, insbesondere Frau Zschäpe?“ Ku.: „Erkenntnisse gibt's dahingehend nur, dass Frau Zschäpe in den Kreisen der Kameradschaft Jena, im Umfeld des Herrn Böhnhardt und Herrn Mundlos, die sich als Mitglieder der Kameradschaft vorstellten [phon.], dass sie in Begleitung dieser Herrschaften oftmals war. Sie sind oft auch öffentlich bei Demos aufgetreten. Und daraus schlussfolgerten wir die Zugehörigkeit zur Kameradschaft Jena.“ Stahl: „Wer ist denn wir?“ Ku.: „Die Abteilung Staatsschutz.“ Stahl: „Und daraus schlussfolgerten Sie eine Mitgliedschaft?“ Ku.: „Ja, wir wussten damals nicht, ob es da Mitgliedsbücher gab oder ein Statut. Thüringen gestaltete sich damals so, dass es eine gab und eine Kameradschaft Jena, die dann verschmolzen sind im THS. Das waren Erkenntnisse, die wir aus Ermittlungen hatten und aus Treffpunkten, andere Beweise hatten wir nicht.“ Stahl: „Jetzt hatten sie aber relativ forsch die Mitglieder der Kameradschaft Jena aufgezählt, u.a. Frau Zschäpe. Und jetzt haben sie aber auf Nachfrage gesagt, weil sie mit den Menschen unterwegs war. [phon.]“ Ku.: „Sie hat gemeinsam auch eine Menge politische Veranstaltungen besucht.“ Stahl: „Waren das alles Mitglieder der Kameradschaft Jena?“ Ku.: „Nein, aber das waren politisch Gleichgesinnte.“ Stahl: „Warum sind das nicht alles Mitglieder?“ Ku.: „Das waren die mir bekannten Mitglieder.“

NK-Vertreter RA Behnke: „Ich habe Sie so verstanden, als hätten Sie gesagt, Angelegenheiten des Herrn Wohlleben seien Chefsache gewesen.“ Ku.: „Ja, die hat der Leiter Staatsschutz bearbeitet.“ Behnke: „Und wie haben Sie das verstanden?“ Ku.: „Dass nur mein Referatsleiter das bearbeitet hat.“ Behnke: „Die Leitung hat Angelegenheiten des Herrn Wohlleben selbst bearbeitet?“ Ku.: „Ja.“ Behnke fragt nach dem Namen. Ku.: „Der Herr Kö.“ Behnke: „Haben Sie auch einen Vornamen?“ Götzl: „Den haben wir hier schon als Zeugen vernommen.“ Behnke: „Ja, Kö. gibt's viele.“ Götzl: „Der hat sich hier als ehemaliger Leiter Staatsschutz vorgestellt.“

RAin von der Behrens hält aus Akten der StA Gera aus einer Zeugenvernehmung von René Scha. vom 18.12.1996 vor. Vorhalt: Des weiteren möchte ich erwähnen, dass mir der André Kapke, den ich in der Jugendwerkstatt kennenlernte, erzählte, dass der Böhnhardt in eine Sache verwickelt ist mit einer Bombenattrappe. Böhnhardt ist ein Bastlertyp. Er soll 1994, in Jena-Lobeda, in einem Hochhaus eine Bombenattrappe gelegt haben. In dieses Hochhaus sollten Ausländer ziehen, die Bombenattrappe richtete sich gegen sie. [phon.] V. d. Behrens: „Sagt Ihnen das etwas?“ Ku.: „Diese Sache ist mir überhaupt nicht bekannt oder erinnerlich. Mir ist auch nicht erinnerlich, dass in diesem Zeitpunkt ein derartiger Untergrund vorbereitet wurde.“ V. d. Behrens: „Und dann entsprechend eine zweite Aussage, Tibor Re., der hier im Verfahren polizeilich vernommen wurde.“ Vorhalt aus einer Vernehmung von Tibor Re.: Ich weiß nicht mehr genau, wann das war. Das war das Asylantenheim ‚Auf dem Forst‘. Das war auf jeden Fall vor 1996. Mundlos hatte einen Fotoapparat dabei und hat Fotos gemacht. Den Fotoapparat hat Mundlos dann auch wieder mitgenommen. Was aus den Aufnahmen geworden ist, kann ich nicht sagen. Wir sind damals mit dem gelben PKW Wartburg von Mundlos hochgefahren. Es wurde darüber gesprochen, die Wachabläufe auszuspionieren. Es kam dann aber nicht dazu. Aus welchen Gründen weiß ich nicht. Ob Böhnhardt dabei war, weiß ich nicht mehr, die Zschäpe war nicht dabei. Wer noch dabei war, kann ich nicht sagen. Das Asylantenheim wurde damals nur ausspioniert. Es wurde nicht gesagt, dass es zu einem Anschlag kommen soll. Ku.: „Auch dazu ist mir nichts erinnerlich.“

RA Scharmer: „Sie sagten vorhin, nur der Leiter, Herr Kö., habe Wohllebens Sachen bearbeitet und nur er habe dann Kenntnis gehabt [phon.]. Gab es dafür einen Grund?“ Ku. sagt, der sei ihm nicht bekannt: „Der war mein Leiter, der war nicht verpflichtet, mir einen Grund zu nennen.“ Scharmer: „Gab es andere Personen aus der rechten Szene in Jena, die auch nur vom Leiter bearbeitet wurden?“ Ku.: „Das ist mir nicht erinnerlich.“ Scharmer: „Gab es da eine Zusammenarbeit mit dem LfV?“ Ku.: „Dazu habe ich keine Kenntnisse, die Gespräche wurden auf Leiterebene geführt.“ Um 10:14 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Klemke gibt eine Erklärung zur Einvernahme des Zeugen ab: „Auch dieser Zeuge konnte keinerlei Angaben machen bezüglich irgendwelcher Straftaten gegenüber Asylbewerbern oder anderen Ausländern seitens des Herrn Wohlleben oder Mitgliedern der Kameradschaft Jena. Diese Aussage reiht sich ein in die anderen Aussagen der Zeugen des Staatsschutzes Jena. Kein einziger konnte derartiges berichten. Danke.“

Götzl wendet sich an Prof. Saß: „Dann würden wir mit Ihrer Anhörung fortfahren.“

Zunächst meldet sich aber Zschäpe-Verteidiger RA Heer zu Wort: „Gibt es eine Entscheidung über unseren Widerspruch oder ist das eine konkludente Entscheidung?“ Götzl sagt, es sei sachgerecht hier mit der Befragung fortzusetzen, im Sinne der Beschleunigung und da ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn durch die Befragung möglich sei. Heer: „Frau Sturm, Herr Stahl und ich beanstanden die Verfügung und beziehen uns zur Begründung auf die vorgetragenen Gründe [phon.].“ OStA Weingarten: „Unter Bezugnahme auf unsere gestrige Stellungnahme halten wir die Beanstandung für ausgesprochen unbegründet.“ Götzl: „Dann unterbrechen wir bis 10:45 Uhr.“

Um 10:47 Uhr geht es weiter. Götzl verkündet den Beschluss, dass seine Verfügung, Saß zu vernehmen, solange die Befragung durch RAe Heer, Stahl und Sturm noch nicht abgeschlossen ist, bestätigt wird. Götzl gibt aus Sicht des Senats den prozessualen Verlauf wieder. Dann sagt er, dass die Verfügung rechtmäßig und sachgerecht sei. Götzl geht u.a. auf eine BGH-Entscheidung ein sowie darauf, dass in Teilen der Rechtsprechung und in der Literatur der Standpunkt vertreten werde, der Vorsitzende dürfe einem Beteiligten das Fragerecht nicht ohne sachlichen Grund entziehen. Diese Streitfrage könne im vorliegenden Fall jedoch offen bleiben, da ein sachlicher Grund dafür vorliege, dass der Vorsitzende die Befragung selbst fortsetzt. Die Rechtsanwälte hätten vorgebracht, sie würden zunächst keine weiteren Fragen stellen. Ein Rechtsverlust bei den Verteidigern trete nicht ein, da ihnen das Fragerecht zu einem späteren Zeitpunkt wieder übertragen werde.

Götzl: „Ja, dann setzen wir fort mit Ihrer Befragung, Herr Prof. Dr. Saß.“ Götzl: „Zur Übersichtlichkeit möchte ich mich an der Verschriftung des mündlichen Gutachtens orientieren. Mir geht's auch um das Thema Beobachtungen von Ihnen im Hinblick auf Ausdrucksverhalten, Interaktion.“ Saß habe sich, so Götzl, zu dieser Thematik geäußert bei den Vorbemerkungen zur Methodik und beim Unterpunkt „Zusammenstellung der relevanten Informationen“. Außerdem wolle er, Götzl, zur Entwicklung seit der Verhaftung nachfragen und auch zu weiteren Aspekten, die im Rahmen der Beurteilung genannt würden. Zunächst macht Götzl aber einen Vorhalt aus dem Punkt „Zur Entwicklung der Angeklagten seit der Verhaftung“ aus der Verschriftlichung: Insgesamt haben die Wahrnehmungen keine besonderen Auffälligkeiten oder gar Hinweise für Störungen ergeben. Vorherrschend war der Eindruck, wie sehr die Angeklagte um Selbstkontrolle und sachlich-kühles Verhalten bemüht war, während über Gefühlsregungen, tiefere Empfindungen und inneres Erleben nahezu nichts offenbar wurde. Es gab allerdings auch immer wieder Passagen mit einer gewissen Lockerheit und Erheiterung bei entsprechenden Gelegenheiten. Eine durchgängige Bedrücktheit durch die Gesamtsituation ließ sich hingegen nicht beobachten.

Götzl: „Mich würde interessieren, welche einzelnen Beobachtungen hier gemacht wurden und bei welchen Gelegenheiten.“ Saß: „Es ist hier eine zusammenfassende Bewertung der Beobachtungen. Ich hatte sie ja in der Stellungnahme vom 19.10. sehr ausführlich wiedergegeben auf diesen 23 Seiten. Das leitende Kriterium war: Was ist von Bedeutung der Beantwortung der Gutachtensfragen? Um es anders zu sagen: Wenn man hypothesengeleitet vorgeht, was könnte die Hypothese ‚es lag eine psychische Krankheit vor‘ unterstützen oder was spricht gegen eine solche Hypothese.“ Entsprechend sei bei der Hangfrage vorgegangen worden, so Saß. Saß spricht sehr schnell, u.a. von „Nullhypothese“ und „Alternativhypothese“.

Götzl bittet Saß etwas langsamer zu sprechen. Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm: „Ich würde darum bitten. Ich habe Ihre letzte Ausführungen zum hypothesengeleiteten Vorgehen nicht verstanden.“ Saß: „Ich habe gesagt, dass die Auswahl der Beobachtungen sich danach gerichtet hat, ob es von Bedeutung für die mir gestellte Frage ist bzw. ob es von Bedeutung für die Nullhypothese oder Alternativhypothese ist.“ [phon.] Götzl: „Wäre es möglich, dass Sie uns die Beobachtungen, die Sie zu Grunde gelegt haben, konkreter fassen und darstellen?“ Saß: „Ist es möglich, dass ich mich auf die Ausführungen der vorläufigen Stellungnahme stütze?“ Götzl: „Ja, ist sicher sinnvoll.“

Saß: „Ich habe also dort auf Seite 77f. Verhaltensbeobachtungen niedergelegt. Auf der einen Seite waren recht konstante Beobachtungen da, andererseits auch manchmal deutliche Veränderungen. Generell waren Hinweise auf ernste psychische Störungen nicht vorhanden, also fehlende Orientierung, unkontrollierte Situationen, auch keine Hinweise für eine depressive Stimmung mit Verlangsamung der Motorik. Allerdings hat es durchaus Schwankungen gegeben. Ich habe dann …“

RA Heer unterbricht: „Vom Schreiben, der Geschwindigkeit, her ist es gerade okay, es ist nur verwunderlich, dass die Frage nicht beantwortet wird.“ Saß: „Herr Rechtsanwalt, das tue ich, vielleicht nicht in der von Ihnen gewünschten Form. Aber als Sachverständiger versuche ich das eben zu entwickeln. Und ich habe gefragt, ob ich mich drauf stützen kann …“ RA Stahl unterbricht: „Wir versuchen ja also alles mitzuschreiben und parallel habe ich versucht, in das Gutachten zu schauen. Es ist ein bisschen schwierig, deswegen hat der Kollege Heer nicht ganz unrecht.“ Saß: „Also ich stelle das dar mit dem, was hier steht.“ Götzl wendet sich an Stahl: „Prof. Dr. Saß hat angekündigt dass sich die Beobachtungen auf Blatt 77f. befinden. Und soweit ich das sehe, befinden sich tatsächlich ab Blatt 78 Beobachtungen. Grundsätzlich verstehe ich jetzt den Einwand nicht.“ Die Auseinandersetzung setzt sich kurz fort. Dann sagt Saß: „Ich werde mich zur Präzision auf das stützen und sage, dass ich alle Dinge, die sich nicht auf die Hauptverhandlung beziehen, weglasse. Am ersten Tag wirkte Frau Zschäpe auf mich sehr wach, aufmerksam und konzentriert, später war sie dann mit dem Laptop beschäftigt.“

Saß gibt dann ausführlich aus seiner vorläufigen Stellungnahme Beobachtungen von Zschäpe während der Hauptverhandlung wieder. In den Folgetagen habe Zschäpe, so Saß, die Aussagen von Carsten Schultze sachlich und aufmerksam verfolgt, ohne weitere erkennbare Regungen. Häufig sei zu beobachten gewesen, dass initial ein etwas stärkeres Interesse da war, während dann nach vielleicht 10 oder 20 Minuten die Angeklagte häufig gelangweilt oder abschweifend gewirkt habe. Oft habe sie sich dann dem Laptop zugewandt und sich damit mehr oder weniger konzentriert beschäftigt. Gelegentlich habe er, so Saß, den Eindruck gehabt, dass die Hinwendung zum Laptop mit einem gewissen Rückzug aus der Hauptverhandlung einherging, z. B. bei Zeugenaussagen mit mglw. emotional belastendem Inhalt. Gelegentlich sei ein Abknicken des Kopfes [phon.] dazu gekommen, „bei dem die langen Haare das Gesicht verbargen und quasi die Funktion eines abschirmenden Vorhangs erhielten“. Auch der Bildschirm habe die Funktion eines Blickschutzes gehabt. [phon.] In der Anfangszeit habe es bei Zschäpe einen Wechsel zwischen teils aufmerksam interessierter Teilnahme und einem mehr oder weniger intensiven Rückzug gegeben. Im weiteren Verlauf des Prozesses sei es dann immer häufiger auch zu einem Abgleiten in eine eher teilnahmslos und etwas gelangweilt wirkende Haltung gekommen.

Er habe dann Ausführungen gemacht zum Verhalten gegenüber der Gruppe der Verteidiger, so Saß. In der Anfangszeit habe es hier den Eindruck eines recht entspannten, lockeren, vertrauensvollen Verhaltens gegeben, das sich habe steigern können zu lebhaftem, manchmal geradezu heiterem und scherzend wirkendem Umgang. Es habe eine lebendige Psychomotorik gegeben. Allerdings habe es in dieser Beziehung auch deutliche Veränderungen gegeben. Als Beispiel, wie wechselhaft das Verhalten Zschäpes im Laufe eines Verhandlungstages habe sein können, geht Saß auf den 24.06.2013 [14. Verhandlungstag] ein: „Zunächst erschien Frau Zschäpe locker, mit ihren Anwälten in fast charmant erscheinender Weise scherzend.“ Es seien dann Beweisanträge durch die Nebenklage gestellt worden, was Zschäpe laut Saß interessiert zu verfolgen schien. Bei einer Vernehmung von Polizeibeamten sei der Eindruck entstanden, dass Zschäpe diese kaum noch beachtete, sie habe sich mit ihrem Laptop beschäftigt und nur selten aufgeschaut. Später seien Bilder der Leiche eines Tatopfers projiziert worden. Am Beginn dieser Passage habe Zschäpe etwas angespannt, dysphorisch gewirkt. Die Bilder habe sie sich nicht angeschaut: „Sie schien sich abzulenken mit dem Bildschirm ihres Laptops.“

Bei der späteren Betrachtung von Vorläuferversionen des Paulchen-Panther-Videos sei sie zunächst gleichmütig, dann ernst und betroffen, dann etwas resigniert, bedrückt, unsicher, in Gedanken versunken erschienen. Saß: „In einer weiteren Situation am Nachmittag habe ich mir notiert: ‚Als in einer späteren Passage eine Nachbarin des Getöteten von einem Nebenkläger gefragt wurde, ob die von ihr damals beobachtete Frau Ähnlichkeit mit der Angeklagten habe, kam es im Saal zu allgemeiner Bewegung und leichter Heiterkeit. Frau Zschäpe hob in dieser Passage munter wirkend den Kopf, lachte, blickte umher, erschien aufgeräumt und keineswegs betroffen oder erschrocken. Im weiteren Verlauf des Tages schaute sie dann oft etwas angestrengt und verbissen, wirkte missgestimmt auf mich, ging dann aber auch rasch wieder in einen vertraut und freundlich wirkenden Umgang mit den Verteidigern über.‘ Das wäre ein Beispiel, wie ich diese breite Variabilität von Verhaltensweisen registriert habe.“

Ähnlich sei es am 26.06.2013 [16. Verhandlungstag] gewesen, so Saß. Es sei ein Hausverwalter aus der Frühlingsstraße als Zeuge gehört worden. Saß: „Mir erschien die Angeklagte aufmerksam, innerlich beteiligt, zuweilen etwas versonnen, dann wieder im Austausch mit dem Verteidiger. Auch die Schilderungen aus der Wohnung schien sie mit Interesse, gelegentlich mit einem zustimmenden Lächeln anzuhören. Als über den Keller gesprochen wurde, machte sie Kommentare zu den Verteidigern, wobei sie durchaus heiter wirkte, erschien dann aber beherrscht.“ Später sei es zu einer Episode mit Unruhe im Saal durch den Kurzschluss eines Ladegeräts gekommen, dabei habe Zschäpe lebhaft reagiert, mit einem Mitangeklagten gesprochen, sich mit einem Polizisten und einer Polizistin ausgetauscht [phon.]. Er habe davon den Eindruck gewonnen, so Saß, dass sie lebhaft erschien, kontaktfreudig, agil, guter Dinge, geradezu scherzend. Ein Zeuge habe in Bezug auf Zschäpe den Ausdruck „hübsche Frau“ benutzt. Darauf habe Zschäpe sichtlich erheitert reagiert. Saß: „Das zeigt, worauf ich diese Beobachtungen der Reagibilität [phon.] stütze. Dann habe ich mir notiert, dass sie im Umgang mit den beiden männlichen Verteidigern vertraut erschien, selbstbewusst und freundlich. Als im weiteren Verlauf ein Zeuge mit den Namen der beiden Uwes nicht zurecht kam, zeigte sie lebhafte Heiterkeit. Danach gab es aber eine Wendung, als durch einen Verteidiger mitgeteilt wurde, dass sie nicht mehr in der Lage sei, der Verhandlung konzentriert zu folgen. Also das als Beispiele, um zu zeigen, worauf die summarische Zusammenfassung dieser Beobachtungen vom 17. und 18.01.2017 [phon.] beruht. Ähnliche Beispiele ließen sich für andere Tage finden. Ich habe das bisher unterlassen, alles einzeln aufzuführen, weil sich daraus keine neuen Erkenntnisse ergeben für die an mich gestellten Fragen oder die Prüfung von Hypothesen.“

RA Heer beschwert sich zunächst ohne Mikrofonverstärkung. Dann: „Mich stören die Reaktionen der Bundesanwaltschaft. Wir verteidigen hier! Wir machen unseren Job, machen Sie Ihren!“ OStA Weingarten: „Herr Vorsitzender, Sie kommen den Verteidigern bis an die Grenze des Erträglichen entgegen. Der Sachverständige muss sein Gutachten fast wie ein Grundschuldiktat abgeben.“ Weingarten spricht von ständigen Störungen; der Gesetzgeber habe, so Weingarten, ein mündliches Verfahren verankert; der Gesetzgeber wisse, dass ein Mitschrieb nur schwerlich möglich ist. Gleichwohl obliege es den Verfahrensbeteiligten, damit umzugehen. Weingarten: „Wir sind nicht in der Grundschule!“ Der SV müsse sein Gutachten ungestört entwickeln und vortragen können, so Weingarten. Heer: „Sie haben offensichtlich den Senatsbeschluss und unsere Anträge vergessen. Sehen Sie ihn sich an!“ Götzl: „Es geht halt drum, dass, wenn Sie Schwierigkeiten haben, dass Sie nachfragen.“ Stahl: „Es ist so, dass es offenkundig Sie stört, wenn wir genau das machen, was Grundlage der Entscheidung des Senats war, dass wir auf Langsamkeit dringen und bitten Dinge zu wiederholen. Da sagen Sie, es sei ‚unerträglich‘. Wir haben Anträge gestellt und der Senat hat das abgelehnt, das ist auch in Ordnung so. Und da regen Sie sich weiter auf und das ist unangemessen.“

Saß: „Also wenn ich recht erinnere, habe ich gesagt, man könne für viele Tage jetzt Beobachtungen referieren. Ich habe gesagt, im Gutachten ging es drum, das zusammenzufassen. Kriterium waren für mich die Gutachtensfragen bzw. die Beobachtungen, die bedeutend waren für die Überprüfung von Hypothesen.“

Saß fährt dann fort mit der Wiedergabe von Beobachtungen. Stärkere Zeichen von Bedrücktheit, Leiden oder Betroffenheit durch das Verfahren und die darin behandelten Themen seien nicht zu verzeichnen gewesen, so Saß: „Zeugenaussagen wurden teils mit Interesse, teils auch mit Nachdenklichkeit verfolgt, häufiger aber kam es nach 20 [phon.] Minuten zu einem relativ raschen Schwinden des initialen Interesses und zu einem Rückzug auf die Beschäftigung mit dem Laptop. Zu einer nachhaltigen Trübung der psychischen Verfassung kam es auch bei emotional bewegenden Zeugenaussagen nicht, jedenfalls nicht in einer Weise, die von außen zu erkennen war. Als etwa am 11.07.2013 [22. Verhandlungstag] Zeugen im Falle eines Mordopfers gehört wurden, erschien sie zwar zeitweise ernst, dann aber um Distanz bemüht, ihr Blick auf den Bildschirm gerichtet. Die Ehefrau des Getöteten wurde von Frau Zschäpe mit einer gewissen Nachdenklichkeit betrachtet, allerdings wurde die insgesamt offensichtlich gute Stimmung an diesem Tag meines Eindrucks nach davon nicht getrübt. Beim Eintritt einer Zwischenpause gab es eine angeregte Unterhaltung mit ihren Anwälten. [phon.] Am 17.07.2013 …“

RAin Sturm unterbricht: „Entschuldigung, ich bitte, den Sachverständigen zu leiten, Beobachtungen aus Pausen außen vor zu lassen.“ Saß: „Ist in Ordnung. Ich habe aber nicht vorgetragen, was in der Pause zu beobachten war. Am 17.07.2013 [24. Verhandlungstag] war zu beobachten, dass Frau Zschäpe eine Bilderschau aus der letzten Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau mit Interesse betrachtete, ohne dass eine Belastung oder Niedergedrücktheit zu beobachten war. Auch am 30.07.2013 [29. Verhandlungstag] bei einem weiteren Zeugenbericht über die Frühlingsstraße schienen angenehme Erinnerungen aufzutauchen, etwa als von der älteren Mitbewohnerin und ‚Oma‘ gesprochen wurde, die immer aus dem Fenster rausgucke. Ebenfalls emotional-affektiv locker und schwingungsfähig zeigte sie sich, als ein Nebenklägervertreter über ihr Prozessverhalten äußerte, sie befinde sich auf dem Holzweg; das wurde von ihr mit einem etwas ironisch-amüsiert wirkenden Lächeln quittiert.“

Es seien wiederholt, so Saß, auch bei emotional gewichtigen Themen äußerlich keine Reaktionen der Angeklagten, etwa Betroffenheit oder Bedrücktheit, erkennbar gewesen. Das habe sich auch am 31.07.2013 [30. Verhandlungstag] gezeigt, als es um das rechtsmedizinische Gutachten zur Obduktion eines Tatopfers sowie weitere Zeugenaussagen in diesem Fall ging: „Die Aussagen wurden augenscheinlich mit kühl-sachlichem Interesse und ohne von außen zu beobachtende Bewegtheit verfolgt. Zuweilen erfolgte der Rückzug in die Beschäftigung mit dem Laptop. In der Folge gab es dann eine lebhafte Konversation mit den Verteidigern. Am 01.08.2013 [31. Verhandlungstag] ging es um ein weiteres Tatopfer und nach meinem Eindruck hat Frau Zschäpe die Verhandlung teils aufmerksam, teils versonnen verfolgt. Es gab einen eher scherzend wirkenden Austausch mit den Verteidigern Es gab eine energische Befragung eines Zeugen durch die Nebenklage, was mit Interesse verfolgt wurde. Dagegen erschien Frau Zschäpe am 06.08.2013 [32. Verhandlungstag], als es um ein weiteres Tatopfer aus Nürnberg ging, eher abwesend und desinteressiert, dabei emotional unberührt wirkend. Später wirkte sie von der Mimik her eher abweisend, dysphorisch, schaute so vor sich hin, damit meine ich, in den Saal. Im September waren die Eindrücke im Wesentlichen unverändert. Frau Zschäpe erschien insgesamt recht flott und agil, dabei routiniert-sicher, was die prozessualen Abläufe anging.

Am 05.09.2013 [33. Verhandlungstag] wurde ein Überwachungsvideo aus der Keupstraße mit jungen Männern gezeigt, die Fahrräder durch die Straße schieben. Dabei war der Eindruck, dass sie interessiert, ernst und konzentriert wirkend das anschaute. Am Ende habe ich ein etwas spöttisch-distanzierend wirkendes Lächeln registriert.“ Im weiteren Verlauf der Verhandlungstage habe der Eindruck von Sicherheit, recht guter Gestimmtheit und eines sachlichen, zuweilen lebhaften und gelegentlich scherzenden Austausches mit den Verteidigern überwogen. An Verhandlungstagen, wo es um Tatopfer bzw. Aussagen von Angehörigen ging, sei Zschäpe teilweise ernst erschienen, aber in der Regel sei sie nach wenigen Minuten wieder angeregt oder auch heiter erschienen. Als sich am 02.10.2013 [42. Verhandlungstag] die Mutter eines Getöteten mit großer Bewegung ‚von Frau zu Frau‘ an Frau Zschäpe wendete und appellierte, sie möge sprechen, schaute Frau Zschäpe ernst und aufmerksam zuhörend zu dieser Zeugin, wirkte aber auch etwas unangenehm berührt und abwehrend. Später wandte sie sich wieder dem Laptop zu.

Im Dezember 2013 ging es um Zeugenvernehmungen von Urlaubsbekanntschaften. Dabei schienen gelegentlich angenehme Erinnerungen aufzutauchen: schmunzelnde Reaktionen [phon.], gelegentlich gab es scherzenden Austausch mit den Verteidigern. Beim kurzen Auftritt der Mutter von Frau Zschäpe am 27.11.2013 [61. Verhandlungstag] entstand der Eindruck, dass Frau Zschäpe innerlich hoch angespannt war, während ich keine weiteren von außen wahrnehmbaren Reaktionen registrieren konnte. Als das Gutachten über den Brand in der Frühlingsstraße und auch über die getötete Polizistin vorgetragen wurde, hatte ich den Eindruck, dass sie sich das interessiert anhörte, wobei sie sachlich distanziert, für mich aber nicht betroffen wirkte. Der Bericht eines Zeugen über die Bergung der Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aus dem Wohnwagen nach den Ereignissen am 04.11.2011 wurde ohne für mich erkennbare Regung verfolgt. Kurz danach konnte Frau Zschäpe in eine allgemeine, lebhafte Heiterkeit einstimmen, die sich im Saal ausbreitete.

Die Vernehmung des Vaters des verstorbenen Uwe Böhnhardt am 23.01.2014 [78. Verhandlungstag] verfolgte die Angeklagte äußerlich ruhig wirkend, dabei mit einer sachlich-gelassenen Attitüde am Laptop arbeitend. Zeitweise schaute sie aufmerksam hoch, wobei ich den Eindruck hatte, dass sich ein etwas ablehnender Zug um den Mund einstellte. Bei einer anrührenden Passage an diesem Tag, als der Zeuge über den Tod des Sohnes Peter im Jahr 1988 berichtete, schien eine leichte emotionale Bewegung aufzukommen, verbunden mit einer etwas düster-missgestimmten Mimik. Es gab dann in der Folgezeit die Vernehmungen von Bekannten aus der Vorzeit des Untertauchens: , Ha., Rei., , wobei ich den Eindruck hatte, dass die Angeklagte zuweilen aufmerksam und ernst folgte, zuweilen kritisch oder abweisend wirkte, insbesondere, wenn negative Äußerungen über sie gemacht wurden, wobei es auch zu etwas abfällig wirkenden Kommentaren zu ihren Verteidigern kam. Am 26. und 27.02.2014 [89. und 90. Verhandlungstag] wurde die Aussage Mandy Strucks ernst und interessiert verfolgt [phon.]. Die Zeugin war dann informiert worden, dass auch die Möglichkeit einer Verweigerung besteht und als sie sagte, dass sie aussagen wolle, hatte ich den Eindruck, dass in der Mimik ärgerliche Gesichtszüge auftauchten. Die nachfolgenden Schilderungen von 1998 wurden, so schien es, nachdenklich und sinnend verfolgt. Der Eindruck eines Ärgers über das Aussageverhalten der Zeugin hat sich auch bei der Vernehmung am Folgetag fortgesetzt.

Im Frühjahr 2014 traten dann, was auch hier in der Hauptverhandlung zu registrieren war, Befindlichkeitsstörungen auf. So wurde auch am 02.04. [101. Verhandlungstag], als Herr Starke befragt wurde, über Kopfschmerzen geklagt, die schon am Vortag begonnen hätten. Ich habe hier erwähnt, dass er auch schon am Vortag befragt wurde. Er ist aber wohl nur erwähnt worden. Damit da keine falsche Aussage drinsteht. Also Befindlichkeitsstörungen im Frühjahr 2014. Aber am 03.04., bei der Zeugenaussage der Mutter Mundlos, wirkte Frau Zschäpe aufmerksam und gefasst. Sie schien die Rekapitulierung dieser biographisch bedeutsamen Epoche recht gleichmütig aufzunehmen. Ohne erkennbare Betroffenheit unterhielt sie sich mit ihrem Anwalt. Auch bei der Schilderung des Anrufes mit der Todesnachricht verhielt sich Frau Zschäpe beherrscht, sie wirkte jedoch auch angespannt auf mich. Am Jahrestag des Prozessbeginns erschien Frau Zschäpe auf mich äußerlich gefasst, doch wurde nach 10 Minuten von ihrer Verteidigung die Unterbrechung der Hauptverhandlung aus gesundheitlichen Gründen gewünscht. Die Rede war von Übelkeit, so dass sie nicht in der Lage sei, der Hauptverhandlung zu folgen. An Beobachtungen habe ich dann am 08.05.2014 [111. Verhandlungstag] notiert, dass von einem der Verteidiger angegeben wurde, es bestünden bei ihr Übelkeit, Magenschmerzen und Kopfschmerzen, so dass sie sich nicht in der Lage sehe, der Hauptverhandlung zu folgen [phon.].

Meine Beobachtungen gehen dann weiter am 19.05.2014 [112. Verhandlungstag], da wirkte die Angeklagte auf mich besser aussehend und erschien lebhafter, mit mehr Energie. Es gab eine zähe Zeugenvernehmung, wobei sie sich intensiv dem Laptop zuwandte und auf mich kühl und unbeteiligt wirkte. Später machte der Zeuge Angaben über Uwe Böhnhardt, da wirkte sie müde und verstimmt. Etwas wacher und interessierter zeigte sie sich, als der Zeuge von einem Verteidiger des Herrn Wohlleben intensiv befragt wurde. Dabei zeigte sich ein etwas abschätzig wirkendes Lächeln. Am 21.05.2014 [114. Verhandlungstag] wurde das Gutachten über die Obduktion von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vorgetragen, dabei erschien sie blass und ernst. Sie hörte zunächst aufmerksam zu, wandte sich aber nach etwa 15 Minuten dem Laptop zu. In den Stunden danach erschien sie recht unbefangen, so dass äußerlich keine nachhaltigen Erschütterungen durch das rechtsmedizinische Gutachten zu erkennen waren. In den Folgetagen erschien Frau Zschäpe zumeist bei Beginn der Verhandlung stimmungsmäßig ausgeglichen, dabei aufmerksam und interessiert, aber wiederholt wandte sie sich nach etwa einer halben Stunde wieder dem Laptop zu und machte den Eindruck, als ziehe sie sich aus der Verhandlung zurück. Der Kontakt zu den Verteidigern erschien sachlich-interessiert, zuweilen auch mit lebhaften oder amüsierten Passagen. Anhaltspunkte für eine depressive Verstimmung waren aus dem Ausdrucksverhalten in dieser Zeit nicht zu gewinnen.

Bei den Vernehmungen von am 15. und 16.07.2014 [127. und 128. Verhandlungstag] erschien sie interessiert und aufmerksam. [phon.] Am 16.07.2014 wurde der Zeuge durch die Pflichtverteidiger befragt, wobei Frau Zschäpe auf mich gelegentlich etwas ungehalten wirkte. Nach der Mittagspause wurde der Neubeginn zweimal verschoben, sodann gab der Vorsitzende bekannt, in der Mittagspause habe ein Justizbeamter mitgeteilt, Frau Zschäpe habe ihn gebeten zu sagen, dass sie kein Vertrauen mehr in die Verteidigung habe. Auf Nachfrage nickte Frau Zschäpe zustimmend. Dabei wirkte sie ernst, gefasst, aber offenbar auch bewegt, leicht erschüttert, so dass man den Eindruck haben konnte, sie sei dem Weinen nahe. Am Ende verabschiedete sie sich …, nein, da war die Verhandlung schon geschlossen, so dass ich das jetzt nicht ausführe. Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung am 22.07.2014 erschien sie mir blass, angespannt und dysphorisch verstimmt, den Blick recht starr geradeaus gerichtet. Dann wurde ein Zeugin vernommen zu den Fehmarn-Urlauben. Die Zeugin weinte und ich habe mir notiert, es gab gelegentliche Versuche der Zeugin, einen Blickkontakt mit Frau Zschäpe aufzunehmen und dieser zuzulächeln, wobei es eine verhaltene lächelnde Rückreaktion gab. Zu den Anwälten wurde nur ein knapper Kontakt aufgenommen, der sich weitgehend auf Herrn Stahl konzentrierte. [phon.] Wobei jedoch insgesamt der Eindruck eines deutlich distanzierten, förmlichen, kühlen Verhältnisses bestand, ganz ohne die früher häufig zu beobachtende Lebhaftigkeit in der Zuwendung und zuweilen auch Herzlichkeit.

Dann habe ich mir notiert, dass es in den folgenden Verhandlungstagen wieder eine leichte Annäherung an frühere Umgangsformen gab, doch blieb das Verhalten von Frau Zschäpe deutlich distanzierter als früher. Aber es gab verbalen Austausch mit den drei Verteidigern. Ihre emotionale Schwingungsfähigkeit erschien mir auch besser. Wenn im Saal Heiterkeit auftrat, hat sie sich dieser mit eigenen Regungen angeschlossen, also als ein Zeuge einen abwertenden Begriff für einen Polizisten benutzte. Bei der Verabschiedung der Verhandlungsteilnehmer in die Sommerpause gab es ein für mich verbindlich-freundlich wirkendes Lächeln in Richtung des Senats. Bei Fortsetzung der Termine im September 2014 erschien der Kontakt zwischen der Angeklagten und ihren Verteidigern wieder lebhafter, ungezwungener und freundlicher. [phon.] Bei gelegentlichen amüsanten Vorkommnissen wie etwa einem überraschenden Piepton im Laptop eines Vertreters des GBA konnte sie in unbeschwerte Heiterkeit einstimmen. Das wird vorgetragen, da es ja auch um Verstimmung, Depressivität und so was geht. In der Folgezeit verhielt sie sich im Kontakt zu den Verteidigern sachlich, aber doch im Vergleich zur Anfangsphase des Prozesses deutlich kühler, auch wirkte sie zuweilen dysphorisch, etwas müde und weniger konzentriert, dies mehr am Nachmittag als am Vormittag.

Im Oktober kehrte zuweilen der ironisch-scherzende Kommunikationsstil im Umgang mit den zwei männlichen Verteidigern zurück, während mir das Verhältnis zur Verteidigerin förmlicher und distanzierter erschien. Im Dezember 2014 erschien der Umgang mit der Verteidigergruppe wieder überwiegend freundlich und sachlich. Befragungen von Zeugen folgte sie aufmerksam und zeigte nonverbal ein Minenspiel mit diskretem, aber nuanciertem Reagieren. Im Januar 2015 habe ich, wie schon früher, registriert, dass zunächst eine sachlich-interessiert wirkende Zuwendung bestand, aber das hat oft abgeflaut nach 10, 15, 30 Minuten und es erfolgte dann eine Beschäftigung mit dem Laptop. Manchmal wurden die Ausführungen aber auch sehr aufmerksam verfolgt, z. B. die technischen Details der Bombe am Tatort Keupstraße. In den folgenden Tagen blieb es bei einem souveränen, aufgeräumt wirkenden Verhalten einerseits und einem Wechsel zu Tagen mit blasser, missliebiger [phon.] Mimik andererseits. Am 04.03.2015 [189. Verhandlungstag] war die Vernehmung Kapke, da hatte ich den Eindruck, dass sie aufmerksam und zeitweise mit einem skeptischen Lächeln folgte, als sollte das eine Distanzierung andeuten. Jedenfalls Skepsis. [phon.]

Deutlich unwillig und zeitweise ärgerlich waren die Reaktionen auf einige Passagen in der Vernehmung des Zeugen Rei. am 12.03.2015 [192. Verhandlungstag], z. B. als dieser negative Charakterisierungen über ihr Verhalten in früherer Zeit abgab, sie als vulgär bezeichnete und vom Klauen sprach. Sie erschien im Ausdrucksverhalten wach, kritisch, ironisch, manchmal auch aufgebracht, zeigte gelegentlich ihre Ablehnung durch Kopfschütteln. [phon.] Es gab dann im Frühjahr 2015 mehrere Monate, wo das Verfahren nur an zwei statt drei Tagen in der Woche stattfand. Wesentliche Veränderungen habe ich in den dann folgenden Monaten nicht beobachtet. Gelegentlich kam es zu lebendigen, schwingenden, wohlgelaunten Reaktionen. Der Kontakt zur Gruppe der Verteidiger wirkte wieder etwas unbeschwerter, war allerdings eher geschäftsmäßig als freundlich-zugewandt wie in der Anfangszeit, wobei es offenbar Unterschiede in der Behandlung der drei Personen gab. Immer mal wieder entstand auch der Eindruck von Verstimmungen, bis dann Ende Mai 2015 die Umgangsformen deutlich kühler wurden. Es gab dann die Änderungen in der Sitzordnung.

Am 10.06.2015 [209. Verhandlungstag] erschien Frau Zschäpe dann blass und angespannt und es kam als Folge eines Entbindungsantrags der Angeklagten im Hinblick auf Rechtsanwältin Sturm zu mehreren Unterbrechungen. Dabei verhielt sich Frau Zschäpe gegenüber der Verteidigerin im nonverbalen Ausdruck kühl und nahezu feindselig. Sie wirkte keineswegs eingeschüchtert, bedrückt und leidend, sondern sicher und entschlossen in dieser Situation. Allerdings war am 17.06.2015 [211. Verhandlungstag] auch zu registrieren, dass das Ganze belastend ist. Sie wirkte auf mich blass, angespannt und belastet. Im weiteren Verlauf der Tage hat Frau Zschäpe während Zeugenvernehmungen dann ein eisig-ablehnend wirkendes Verhalten gezeigt mit deutlicher Abkehr von den Verteidigern.“ Das habe auf ihn den Eindruck einer massiven Verstimmung zwischen den Personen gemacht, Zschäpe habe eine gewisse Mitgenommenheit durch den Konflikt gezeigt, auf ihn erschöpft und angestrengt gewirkt. Am 23.06.2015 [212. Verhandlungstag] habe diese atmosphärische Verstimmung weiterhin bestanden. Saß weiter: „Es wurden dann auch verschiedene Schriftsätze thematisiert, in denen es um Vertrauensverlust und Schweigen ging und Ausüben von Druck und andere Vorwürfe, die Frau Zschäpe äußerte. Dabei ließen diese Ausführungen Frau Zschäpe als stark, durchsetzungsfähig, -willig und kämpferisch, auch manipulativ erscheinen. Wobei ich das Stark-Kämpferische auch im Ausdruck glaubte …“

An dieser Stelle unterbricht RA Stahl. Erneut geht es darum, dass Saß differenzieren solle. Saß: „Ich habe mich auf das bezogen, was ich in der Verhandlung gehört und wahrgenommen habe.“ RA Heer: „Das hat aber nichts mit Beobachtungen zu tun. Und das war die Frage des Vorsitzenden.“ Götzl: „Vom Zusammenhang ist das etwas, was an dieser Stelle dazu gehört.“ Saß: „Ich sehe das anders als Sie, Herr Verteidiger, ich habe mich vorhin bezogen auf das, was Zeugen gesagt haben und wie dann die Ausdrucksweisen [phon.] waren. Ich habe auch eben meine Ausführungen damit beendet, dass das in ihrem Ausdrucksverhalten zum Ausdruck kam. Aber ich kann das auch weglassen, es ist nicht entscheidend in meinem Gutachten.“ Stahl sagt, Saß habe davon gesprochen, dass die Ausführungen von Zschäpe sie erscheinen ließen: „Frau Zschäpe hat aber keine Ausführungen gemacht, außer in den Briefen. Sie zitieren aus den Briefen, das ist nicht korrekt.“ Götzl zu Saß: „Ich würde Sie bitten, das was Sie als Interaktion oder Verhalten beobachtet haben, dass Sie das schildern. Aber natürlich soll die Situation erkennbar sein.“

Saß weiter: „Ich habe dann noch wahrgenommen, dass es eine unterschiedliche Behandlung der einzelnen Mitglieder der Verteidigergruppe gab und eine Art ostentativen Kontaktabbruch während der Hauptverhandlung. Ansonsten wirkte sie auf mich kühl, sie erschien blass, zeigte einen etwas mürrisch-feindseligen, aber auch entschlossenen Gesichtsausdruck. Überwiegend versenkte sie sich in ihren Laptop. [phon.] Am 24.06.2015 blieb es bei einem weitgehenden Ignorieren der Verteidigergruppe, ansonsten erschien Frau Zschäpe im Allgemeinzustand etwas wohler. Auch im Fortgang blieb es allerdings bei einer eisig wirkenden Ablehnung eines Kontaktes. Ich habe mir noch notiert: Ganz im Unterschied zu früher wurden bereitgestellte Süßigkeiten übersehen. Dies dauerte auch am 30.06. noch fort. Auf Kontaktversuche reagierte sie nicht oder abweisend. Auch am 01.07.2015 gab es lediglich einmal einen kurzen, betont kühl und sachlich ohne Blickkontakt gehaltenen Austausch mit einem Verteidiger. Ansonsten schaute Frau Zschäpe in die Ferne, ins Leere. [phon.] Später an diesem Tag gab es auch ein stimmungsmäßiges Mitschwingen bei angedeutet heiteren Situationen im Saal und auch bei einer Kontroverse eines Nebenklägervertreters mit dem Vorsitzenden.

Am 20.07.2015 [219. Verhandlungstag] gab es einen Antrag der drei Pflichtverteidiger auf Entbindung und Frau Zschäpe zeigte ein leichtes Lächeln, das ironisch wirken könnte. Auch hatte ich den Eindruck, dass sie einen zufriedenen und in sich ruhenden Eindruck machte und nicht betroffen oder beunruhigt wirkte. Ohne mimische Reaktionen wurde die Mitteilung entgegengenommen, dass erwogen wird einen vierten Pflichtverteidiger zu bestellen.“ Im Zuge weiterer Anträge in der Entpflichtungsfrage habe es dann am 21.07.2015 erneut Auseinandersetzungen um die Sitzordnung gegeben, wobei Zschäpe sich mit ihren Vorstellungen durchgesetzt und anschließend eine gewisse Genugtuung erkennen lassen habe. Saß: „Jedenfalls war das mein Eindruck, den ich da gewonnen habe. Ein anderer Rechtsanwalt wurde von ihr betont freundlich verabschiedet, so dass ich den Eindruck hatte, dass sie auch in dieser Situation auf freundlichen Kontakt ausgerichtet ist und dabei gesellige und freundliche Züge zeigen kann. Demgegenüber blieb es bei der demonstrativen Kontaktverweigerung mit den ursprünglichen Verteidigern. Am 28.07.2015 entstand bei der gut gelaunt wirkenden Angeklagten der Eindruck, dass sie die Auseinandersetzungen durchaus belebt und bestärkt hätten. In der Folgezeit blieb es bei der zumeist strikten Nichtbeachtung der ursprünglichen Pflichtverteidiger, während zu dem weiteren Verteidiger ein ausgesprochen freundlicher, lebhafter Gesprächskontakt gehalten wurde, der manchmal geradezu animiert und mit Sympathiegefühlen verbunden erschien. Nach der Sommerpause 2015 wirkte Frau Zschäpe insgesamt erholt, im Verhalten wurde keine Notiz genommen von den Verteidigern der Anfangszeit, während das Verhalten gegenüber Rechtsanwalt Grasel weiterhin lebhaft und vertraut erschien [phon.]. Es wurde dann im weiteren Verlauf der Tage über weite Strecken ein unbestimmter und nichtssagender Gesichtsausdruck eingehalten, bei aufgelockerten Situationen im Saal konnte sie aber mit guter Schwingungsfähigkeit reagieren. Insgesamt: Stabile Situation und gute Laune, Überwindung der Verstimmung des Frühjahrs 2015.

Zu diesem Eindruck trug auch bei, dass Frau Zschäpe recht differenziert, feinfühlig und nuanciert auf Zeugen und ihre Aussagen reagieren konnte, etwa beim Bericht über das Hinterherhinken eines Zeugen mit seinen Beiträgen für die KS Jena, wo sie ein verständnisvoll erscheinendes Lächeln zeigte. Ganz anders am gleichen Tag: Eine brüske Abwendung bei einer Kontaktaufnahme eines bisherigen Verteidigers. Ansonsten wurde überwiegend ein freundlich-interessiertes, recht entspanntes Verhalten gezeigt. Gelegentlich entstand auch der Eindruck, dass eine lebhafte Reaktion in der Mimik vorhanden war [phon.]. Wenn es zu Anträgen und Verlesungen im Rahmen der Konflikte mit den ursprünglichen Verteidigern kam, so hatte ich den Eindruck, dass sich in Mimik und Gestik eine gewisse Solidarisierung mit dem neugewählten Verteidiger ausdrückte. Aufmerksam wurden teilweise langanhaltende Debatten der Juristen um prozessuale Fragen verfolgt. Es gab dann am 14.10. [237. Verhandlungstag] in Zusammenhang mit einer Äußerung eines der drei ursprünglichen Verteidiger eine nur mühsam unterdrückte empörte Reaktion. Ansonsten war in dieser Zeit, im auslaufenden 2015 das Verhalten ruhig, sachlich, geschäftsmäßig, nach außen unberührt. Das auch bei potenziell heiklen Themen, etwa der Leichenbergung am 04.11.2011. Zeitweise tauchte Frau Zschäpe wieder überwiegend ab in Aktivitäten am Laptop, so auch als ein Video vorgeführt wurde.

Manchmal gab es ein heftiges Argumentieren mit dem Anwalt, so am 22.10.2015 [240. Verhandlungstag], als es thematisch um Kartenmaterial ging. Sie schien insistierend, unzufrieden und um Durchsetzung bemüht, mit hartnäckigem Nachlegen. Später kam es im Saal zu Heiterkeit, da konnte sie aber auch gelöst mitlachen und umherschauen. Es kam dann zu einer Zunahme der Dynamik, als die Aussage von Frau Zschäpe angekündigt wurde. Am 10.11.2015 [243. Verhandlungstag] ging es noch einmal um die Frage der Aufhebung der Bestellung der ursprünglichen Verteidiger und im Ausdrucksverhalten zeigte sie wieder diese feindselig wirkende Ablehnung und ein abfällig anmutendes Lächeln. Auf ein Ansprechen durch einen ursprünglichen Verteidiger wurde mehrfach mit Abwendung reagiert. Wobei sie gegenüber dem neuen Verteidiger insgesamt lebhaft, freundlich und animiert wirkte. Ansonsten wirkte Frau Zschäpe locker, sicher, selbstbewusst, keineswegs befangen, niedergedrückt oder belastet. Zwischendurch gab es auch kurzen scherzhaften Austausch mit dem Anwalt oder sichtlich Freude an Formulierungen, etwa wenn der Vertreter der Bundesanwaltschaft von ‚Dritteinschätzung einer Dritteinschätzung‘ sprach und sie in die allgemeine Heiterkeit einstimmen konnte. Als es dann zu einem Wortwechsel zwischen einem ursprünglichen Verteidiger und dem Vorsitzenden kam, war der Gesichtsausdruck wieder ablehnend.

Am 09.12.2015 [249. Verhandlungstag, erste Einlassung Zschäpes] hatte ich den Eindruck, dass eine gewisse Hochstimmung bei Frau Zschäpe vorhanden war, die sich mit der Steigerung der allgemeinen Aufmerksamkeit eingestellt zu haben schien. Das hat dann wieder nachgelassen, aber es blieb bei der positiven Zuwendung zu den beiden dann hinzugetretenen Verteidigern. Im Jahr 2016 haben sich die freundlichen und offensichtlich von Sympathien getragenen Haltungen gegenüber den beiden neuen Verteidigern fortgesetzt. Den Zeugenaussagen folgte sie überwiegend sachlich und wirkte dabei freundlich und aufgeräumt. Sie konnte aber auch sich amüsieren. [phon.] Bei anderen Gelegenheiten, wenn etwa Tatzeugen von den Sparkassen-Überfällen gehört wurden, die emotional sehr bewegt waren, da schaute Frau Zschäpe zumeist in eine andere Richtung oder zog sich zum Laptop zurück und wirkte manchmal etwas müde und abwesend. Eigentümlich erschien ihr Verhalten etwa am 03.03.2016 [267. Verhandlungstag] bei einer Zeugin, die offensichtlich noch immer erheblich unter den Ereignissen litt und emotional bewegend über Kinder und die Angst sprach, dass man sie nicht mehr sehe. Das Verhalten von Frau Zschäpe wirkte dabei unberührt und kurz drauf hat sie sich mit einem Scherz dem neben ihr sitzenden Verteidiger zugewandt. Am 09.03.2016 ging es um die Sicherstellung von Waffen im Wohnmobil. Ich hatte den Eindruck, dass sie sachlich-interessiert war, ohne eine Regung zu zeigen im Sinne von Bedrückung [phon.]. Auch als das NSU-Archiv Thema war, zeigte sie kurzzeitig Interesse, um sich sodann über das Laptop zu beugen, wobei ich den Eindruck hatte, dass die Haare da wie ein Vorhang wirkten.

Dann am 16.03.2016 [271. Verhandlungstag], dem Termin der Verlesung von Antworten auf Fragen, da wirkte Frau Zschäpe in Bezug auf Rechtsanwalt Grasel [phon.] ruhig, sicher, gelöst und entspannt. Ähnlich gegenüber dem zweiten hinzugetretenen Anwalt, wenn auch etwas förmlicher. Als dieser die Antworten vortrug, las sie interessiert und konzentriert den Text mit. Als es am 21.04.2016 [278. Verhandlungstag] um das Thema einer Wette und um den Antrag auf Urlaubsfotos von 2004 ging, folgte Frau Zschäpe dem Geschehen kühl, sachlich, aufmerksam und professionell wirkend. Wenn es dabei amüsante Situationen gab, erschien sie durchaus schwingungsfähig und reagibel.“ Bei der Verlesung von Erkenntnismitteilungen zu Brandt habe es einen Blickwechsel mit Wohlleben gegeben, so Saß. An den folgenden Tagen habe der Eindruck eines entspannten, ruhigen, selbstsicheren Verhaltens überwogen. Es habe aber teilweise eine Erlahmung von Aufmerksamkeit und eine Hinwendung auf das Laptop gegeben. Es sei in der Folge bei einer ruhigen, sachlich-interessierten [phon.] Haltung geblieben. Bei Verlesungen sei die Aufmerksamkeit aber auch mal erloschen, gelegentlich habe es ein leichtes Dösen gegeben.

Manchmal, so Saß weiter, habe eine Vernehmung auch zu Ärger geführt, so am 10.05.2016 [281. Verhandlungstag] beim Antrag eines Nebenklägervertreters, den Zschäpe mit einer abschätzig wirkenden Mimik quittiert habe. Saß: „Ähnlich war es am 02.08.2016 [305. Verhandlungstag], als ein Zeuge vom Staatsschutz in Jena Angaben machte. Bei der Befragung durch Nebenklägervertreter erschien sie gelangweilt, lustlos und etwas übellaunig. Nach Beendigung der Sommerpause erschien Frau Zschäpe äußerlich recht wohlaussehend. Es wurde ein Schriftsatz verteilt mit ungeklärten Tötungsdelikten. Das schien sie mit Interesse, aber ohne eine nach außen erkennbare Bewegung zu studieren. Es gab im Saal Unruhe wegen der Ankündigung eines Probealarms im Gebäude. Sie stimmte in die allgemeine Belustigung ein und lächelte in Richtung des Senats. Später verhielt sie sich wieder recht distanziert und beschäftigte sich mit ihrem Laptop. [phon.] Auch am 13.09.2016 [308. Verhandlungstag] erschien sie in guter Verfassung, dabei sicher, routiniert und mit sachlich-freundlichem Kontakt zu Rechtsanwalt Grasel. Als dann der Antrag eines Nebenklägervertreters zu einem Außenbordmotor kam, erschien sie etwas missgestimmt, das Gesicht wurde hinter der Hand verdeckt. Als es um die Zulässigkeit von Fragen der Nebenklage an die Angeklagte ging, hielt sie ihren Blick recht starr auf den Laptop gerichtet.“ Der Verlesung der vom Senat übernommenen Fragen zu früheren Erkrankungen, Alkoholkonsum und Lebensgewohnheiten sei sie äußerlich unbewegt gefolgt.

Saß: „Am 22.09.2016 trug der Rechtsmediziner ein Gutachten zur Frage der Alkoholisierung am 04.11. vor, da hörte sie mit Interesse zu, ohne dass ansonsten Gemütsregungen zum Ausdruck kamen [phon.]. Am 29.09.2016 [313. Verhandlungstag], die Erklärung des zuletzt hinzugetretenen Anwaltes mit Antworten auf Fragen des Vorsitzenden, verfolgte sie mit aufmerksamem Mitlesen, sie erschien dabei sachlich-interessiert, zeigte aber keine persönliche Regung. Es kam dann eine nicht angekündigte persönliche Stellungnahme, die Frau Zschäpe selbst vorlas. Sie verhielt sich dabei äußerlich beherrscht, doch entstand der Eindruck einer gewissen inneren Anspannung und Nervosität. Die Stimme wirkte etwas gepresst, der Text wurde auch ohne eine Akzentsetzung in Mimik, Gestik und Modulation der Stimme vorgelesen. Gemütsbewegungen und eine emotionale Beteiligung kamen nicht zum Ausdruck, so dass der Vortrag für mich recht glatt und unpersönlich wirkte. Hinterher schien eine gewisse Entspannung einzutreten, als sie ein Lächeln mit den Verteidigern links und rechts von ihr austauschte. Den weiteren Gang der Verhandlung verfolgte sie aufmerksam und interessiert. Gelegentlich wurde durch Gesichtsausdruck eine gewisse Kritik angedeutet, etwa als es um die mögliche Verlesung einiger ihrer Briefe ging. Damit enden die Aufzeichnungen damals. Ich kann summarisch sagen, dass auch die seitherigen Verhandlungstage in meinen Augen keine ganz anderen Eindrücke [phon.] ergeben haben, als ich sie in den dreieinhalb Jahren davor geschildert habe. Also keine Dinge, die für die Beantwortung der Gutachtensfragen [phon.] von Bedeutung sind. Was das Ausdrucksverhalten angeht, habe ich nichts mehr an Neuigkeiten zu registrieren gehabt, auch nichts, was für die Prüfung von Hypothesen von Bedeutung ist. [phon.]“ Götzl legt die Mittagspause ein.

Um 13:34 Uhr geht es weiter. Götzl: „Mir geht es jetzt noch um einen Hinweis, Seite 43, erster Absatz: ‚Dem steht nicht entgegen, dass Frau Zschäpe durchaus auch als freundlich, sozial gewandt, fürsorglich und angenehm im Kontakt geschildert wurde, wie sich auch im Prozessverlauf manche Züge mit charmantem Umgang und einer gut angepassten Fassade beobachten ließen.‘ Worauf beruht die Schilderung der gut angepassten Fassade?“ Saß: „Im Wesentlichen, wenn man davon ausgeht, dass die Verteidigerproblematik über lange Zeit bestanden hat, so ist das doch lange nicht in Erscheinung getreten und hat sich hinter business as usual und gut angepasstem Verhalten verborgen gehalten.“ Götzl: „Haben Sie jetzt alle relevanten Beobachtungen geschildert oder haben Sie noch mehr?“ Saß: „Aus meiner Sicht ja, wenn man mehr macht, gäbe es Wiederholungen. Ich habe mich nach Kräften bemüht, das, was zur Beurteilung beitragen kann, zu referieren.“ Götzl: „Die abgebildete Ente im Brief an , hat die für Sie irgendeine Relevanz?“ Saß: „Die Ente eigentlich nicht. Wenn dann wäre die Frage relevant, wieviel von dem Brief denn aus dem Internet käme. Nach bisherigem Verständnis waren das wenige Zeilen oder einige Ausdrücke, das wäre dann nicht relevant. Die Zeichnung habe ich nicht kommentiert, die ist für meine Beurteilung nicht entscheidend.“ Götzl: „Wir würden Ihre Anhörung unterbrechen und Sie bitten, am 07. Februar wieder zu erscheinen. Dann bedanke ich mich.“ Saß verlässt den Saal.

Götzl fragt dann, ob zum Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben von gestern Stellung genommen werden soll. Bundesanwalt Diemer sagt, der Antrag auf Einvernahme eines SV für Demografie dürfe abgelehnt werden, weil keinerlei Sachzusammenhang zum Verfahren gegeben sei, und die unter Beweis gestellten Tatsachen, selbst wenn sie erwiesen wären, allenfalls mögliche Schlüsse zuließen. So die Wörter „Volkstod stoppen“ auf einem bei Wohlleben gefundenen Feuerzeug aufgedruckt seien, sei das schon allein deshalb ohne Bedeutung, weil das Feuerzeug erst 2011 beschlagnahmt worden sei und daher keine Rückschlüsse auf die Einstellung des Angeklagten Wohlleben im Jahr 2000 möglich seien. Abgesehen davon liefere die beantragte Beweisaufnahme auch keine Anhaltspunkte dass beim Angeklagten eine extremistische Motivation vorgelegen hat, dass die Tötungsabsicht eine Rolle bei der -Lieferung gespielt hat. [phon.] Darauf komme es an, unabhängig von der Bewertung, ob die Wörter „Volkstod“ oder „stoppen“ legitim seien oder nicht.

Scharmer: „Die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft führt dazu, dass ich trotz der zutreffenden Äußerungen des Kollegen Daimagüler von gestern noch etwas anfüge. Das Beweisziel lässt sich nämlich nicht erreichen. Das Beweisziel ist die Verharmlosung und Relativierung des Begriffs des ‚Volkstods‘. Dafür wird die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Kontext gerissen. Genau so hat die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht argumentiert. Dazu gibt es jetzt das Urteil und es hat sich gerade mit dem Begriff des sogenannten ‚Volkstodes‘ auseinandergesetzt.“ Scharmer zitiert dann aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.01.2017, Randnummer 693, die NPD könne sich zur Begründung der Behauptung, einen verfassungsgemäßen Volksbegriff zu vertreten, auch nicht auf Art. 116 GG und den dazu ergangenen „Teso“-Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts berufen. Zwar erweitere Art. 116 als Ausdruck der Pflicht, die Einheit des deutschen Volkes als Träger des Selbstbestimmungsrechts nach Möglichkeit zu bewahren die Eigenschaft als Deutscher auf die sogenannten „Statusdeutschen“. Dies führe aber nicht dazu, dass sich der Volksbegriff des Grundgesetzes vor allem oder auch nur überwiegend nach ethnischen Zuordnungen bestimmt. Vielmehr erhalte Art. 116 GG als Kriegsfolgenrecht erst dadurch Sinn, dass der Träger der deutschen Staatsgewalt im Ausgangspunkt durch die Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen zu definieren ist. Im „Teso“-Beschluss habe das Bundesverfassungsgericht darüber zu befinden gehabt, ob der Erwerb der DDR-Staatsangehörigkeit durch eine Person mit italienischem Vater zugleich den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Grundgesetzes einschließt. Dass das Bundesverfassungsgericht dies, unabhängig von der ethnischen Zuordnung, bejahte, dokumentiere die fehlende Ausschließlichkeit der ethnischen Herkunft für die Bestimmung der Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Scharmer: „Das hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, frühere Entscheidungen damit klargestellt. Dem gibt es nichts hinzuzufügen.“

Götzl weist darauf hin, dass beabsichtigt sei, Teile aus den Behandlungsunterlagen zu Carsten Schultze, die im Gutachten von Prof. Leygraf zitiert sind, zu verlesen. Außerdem sei beabsichtigt zwei Vermerke zu verlesen. Er nennt jeweils die Fundstellen. Götzl: „Sind denn für heute weitere Anträge oder Erklärungen?“ Schneiders: „Ja, und ich möchte drauf hinweisen, dass Herr Wohlleben die letztgenannte Fundstelle noch nicht in seinen Akten hat. „Götzl: „Dann müssen wir dafür sorgen.“

Dann verliest Schneiders ein Ablehnungsgesuch Wohllebens gegen den psychiatrischen SV Prof. Dr. Leygraf, der Carsten Schultze begutachtet hatte. Schneiders weist darauf hin, dass Wohlleben bereits am 15.06.2016 Leygraf wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt habe. Dieser Antrag sei seitens des Senats als unbegründet zurückgewiesen worden. Anlass des damaligen Antrags sei gewesen, dass die Verteidigung Wohlleben den SV befragt habe, auf welcher Grundlage er Schultze im Explorationsgespräch vorgehalten habe, dass es in der rechten Szene in Jena doch ausgeprägte ausländerfeindliche Parolen gegeben habe. Der abgelehnte SV habe weder konkrete ausländerfeindliche Parolen benennen können, noch, „wann und durch wen diese wo verwendet worden sein sollen“. Schneiders gibt kurz die Darstellung aus dem damaligen Ablehnungsgesuch zu diesem Punkt wieder. Zur Begründung des Ablehnungsgesuchs sei damals angeführt worden, dass kein Zeuge Angaben dahingehend getätigt habe, dass die jungen Jenaer, die sich der KS Jena, dem THS bzw. dem „Nationalen Widerstand Jena“ zurechneten, öffentlich ausländerfeindliche Parolen, sei es auf Plakaten, Aufklebern, Spuckis, Transparenten oder durch deren Skandieren verwendet hätten. Einzige Ausnahme sei der Aufkleber „Bratwurst statt Döner“, den Tino Brandt habe herstellen lassen.

Abgesehen davon habe Carsten Schultze zu keinem Zeitpunkt ausgesagt, dass er selbst „ausgeprägt ausländerfeindliche Parolen“ verwendet, also „übernommen“ habe. Dennoch habe ihm der abgelehnte SV ausweislich seines schriftlichen Gutachtens genau dies unterstellt. Damit habe, so Schneiders, der SV überdeutlich zu erkennen gegeben, dass er Schultze und damit auch den übrigen Angeklagten nicht mit der vom Gesetz geforderten Objektivität gegenüberstehe. Leygraf habe ohne eine hinreichende Grundlage negative Zuschreibungen dahingehend vorgenommen, dass die der KS Jena bzw. dem THS in Jena zuzurechnenden jungen Jenaer und damit auch die Angeklagten durchweg Rechtsextremisten und deshalb ausländerfeindlich waren und deshalb ausländerfeindliche Parolen verwendeten. Damit habe der SV „bestehende Vorurteile kritiklos übernommen und einfach auf die Angeklagten projiziert“. Nunmehr habe Leygraf in seiner erneuten Anhörung am 11.01.2017 auf Frage der Verteidigung Zschäpe erklärt, dass er generell bei der Gutachtenerstattung von der Täterschaft des Probanden ausgehe. Ein SV könne, so Schneiders, aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund liege vor, wenn die Besorgnis der Befangenheit bestehe, wenn also ein Grund vorliege, der verständigerweise ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des SV rechtfertigt. Dabei komme es auf den Standpunkt des verständigen Ablehnenden an, nicht auf den des Gerichts. Es müssten vernünftige Gründe vorgebracht werden, die jedem unbefangenen Dritten einleuchten, das Gericht müsse dabei die Ablehnungsgründe in ihrer Gesamtheit würdigen.

Leygraf habe „überdeutlich zu erkennen gegeben“, dass er dem Angeklagten Schultze und damit auch den übrigen Angeklagten nicht mit der vom Gesetz geforderten Objektivität gegenüberstehe. Der abgelehnte SV hat zunächst ohne eine hinreichende Grundlage, insbesondere ohne, dass dies durch Anknüpfungstatsachen belegt gewesen wäre oder er hierzu Befundtatsachen erhoben hätte, negative Zuschreibungen dahin vorgenommen, dass die der KS Jena bzw. dem THS in Jena zuzurechnenden jungen Jenaer und damit auch die Angeklagten durchweg Rechtsextremisten, deshalb ausländerfeindlich gewesen seien und aus diesem Grunde ausländerfeindliche Parolen verwendet hätten. Schneiders: „Die hierauf fußende Besorgnis der Befangenheit und Voreingenommenheit durch den Angeklagten Wohlleben wird durch die von dem abgelehnten Sachverständigen nunmehr am 11.01.2017 gemachte Äußerung erneuert und verstärkt. Diese erhellt nämlich, dass der Sachverständige nicht unvoreingenommen an die Gutachtenaufträge herangeht, sondern bei der Exploration des Probanden und bei der folgenden Erarbeitung und Erstattung seiner Gutachten prinzipiell die Täterschaft des Probanden voraussetzt. Dies gilt dann auch für den vorliegenden Fall.

Grundlage eines fairen, rechtsstaatlichen Strafverfahrens sei die Unschuldsvermutung, die bis zur Rechtskraft eines verurteilenden Erkenntnisses uneingeschränkt gilt.“ Die Unschuldsvermutung binde nicht nur das erkennende Gericht, sondern auch dessen Gehilfen, hier des SV. Dieser Grundsatz werde von Leygraf „auf den Kopf gestellt“, ohne dass dies aus zwingenden Gründen, die aus der Methodik der vom Sachverständigen vertretenden Wissenschaft wurzelten, erforderlich sei. Damit stehe er den Angeklagten nicht mehr unvoreingenommen und mit der erforderlichen Unparteilichkeit gegenüber. Dies berechtige alle Angeklagten und damit auch Wohlleben, den
SV wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath beantragt, den ehemaligen Leiter des Staatsschutzes der KPI Jena, Kö., erneut zu vernehmen. Kö. werde bekunden, dass Wohlleben zu keinem Zeitpunkt Chefsache beim Leiter des Dezernats Staatsschutz gewesen sei, und dass er dies auch zu keinem Zeitpunkt gegenüber anderen Angehörigen des Dezernats Staatsschutz geäußert habe.

NK-Vertreter RA Elberling nimmt kurz Stellung zum Ablehnungsgesuch gegen Leygraf: „Für den Fall, dass es überhaupt zulässig ist, ist es jedenfalls unbegründet.“ Der Gutachter müsse Stellung nehmen zur Frage, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewendet wird, so Elberling; dies könne er denklogisch nur unter der Prämisse tun, dass überhaupt Strafrecht angewendet wird.

Dann verliest Elberling einen Beweisantrag. Er beantragt, 1. EKHK Neusüß vom TLKA zu hören zum Beweis der Tatsachen, dass die Durchsuchung der Garagen Nr. 6 und 7 in dem Garagenkomplex Richard-Zimmermann-Straße am 26. Januar 1998 um 07:25 Uhr begonnen habe und Uwe Böhnhardt zu Beginn der Maßnahme anwesend gewesen sei, sich aber zwischen 8 Uhr und 08:30 Uhr mit seinem Auto von der Maßnahme entfernt habe; und 2. KHK Fa. vom TLKA zu hören zum Beweis der Tatsachen, dass zum Zweck der Durchsuchung der Garage Nr. 5 des Blocks H im Garagenkomplex des Garagenvereins an der Kläranlage e.V. am 26. Januar 1998 diese Garage in der Zeit von 06:45 bis 12 Uhr von außen durch zwei Polizeibeamte der PI Jena gesichert worden sei und dass die Durchsuchung der Garage in der Zeit von 08:15 bis 13 Uhr stattgefunden habe, dass an der Durchsuchung von 08:15 bis 11 Uhr zu den zwei Sicherungsbeamten sieben weitere Beamte des TLKA und der KPI Jena sowie ein weiterer Zeuge teilgenommen hätten, dass von 11 bis 13 Uhr zu diesen Personen drei zusätzliche Beamte des TLKA hinzu gekommen seien, dass gegen 08:15 Uhr der Garagenvermieter Klaus A. zu der Garage gekommen sei und versucht habe, das Schloss zu öffnen, dass um 9 Uhr Kräfte der Feuerwehr vor Ort gewesen seien, um das zweite von Klaus A. nicht geöffnete Schloss der Garage zu öffnen, und dass außerdem in der Zeit von 08:15 bis 13 Uhr zwei oder mehr Polizeifahrzeuge auf dem Gelände des Garagenvereins gewesen seien.

Zur Begründung führt Elberling aus:
Die Angeklagte Zschäpe gab in ihrer Einlassung am 9. Dezember 2015 zu dem Ablauf am 26. Januar 1998 an: „An diesem Tag fand eine Hausdurchsuchung in der Wohnung des Uwe Böhnhardt
statt. Ihm wurde der Durchsuchungsbeschluss vorgelegt. Uwe Böhnhardt erkannte, dass sich der Durchsuchungsbeschluss auch auf die von mir angemietete Garage bezog. Während der Hausdurchsuchung ließen ihn die anwesenden Polizeibeamten gehen und Uwe Böhnhardt fuhr mit seinem Auto davon. Er rief mich an und teilte mir mit, dass die Garage aufgeflogen sei. Er forderte mich wörtlich auf ‚Fackel ab‘.“ Sie habe sich daraufhin zu einer Tankstelle begeben, Benzin in eine 0,7-Liter-Flasche abgefüllt und sei damit zur Garage gelaufen, um das dort gelagerte „Propagandamaterial“ zu verbrennen. Weiter heißt es in der Einlassung: „Ganz in der Nähe der Garage sah ich mehrere Personen, die anscheinend ihr Auto reparierten. Dieser Umstand hielt mich davon ab, das Benzin in der Garage auszuschütten und anzuzünden. Denn ich ging aus Erzählungen der beiden davon aus, dass sich eine Menge (wie viel genau wusste ich nicht) Schwarzpulver dort befindet und ich nicht abschätzen konnte, was wohl mit den in der Nähe befindlichen Personen passiert, wenn das Benzin brennt und mit dem Schwarzpulver in Berührung kommt.“ Die bisherige Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Angeklagte Zschäpe am 26. Januar 1998 in der Schomerusstraße 5 in Jena wohnte.

Die Bekundungen der Zeugen werden ergeben, dass die Garage Nr. 5 im Garagenkomplex Kläranlage und die Garagen 6 und 7 im Garagenkomplex in der Richard-Zimmermann-Straße am 26. Januar 1998 durchsucht wurden. Die zwei Garagen in der Richard-Zimmermann-Straße gehörten zu der elterlichen Wohnung des Uwe Böhnhardt bzw. ging der Durchsuchungsbeschluss davon aus. Die Bekundungen werden weiter ergeben, dass die Garage Nr. 5 im Garagenkomplex Kläranlage bereits ab 06:45 Uhr durch zwei Beamten abgesichert war und dass ab 08:15 Uhr auch die übrigen sieben bzw. ab 11 Uhr elf Durchsuchungsbeamten bis 13 Uhr mit mehreren Dienstfahrzeugen vor Ort waren und weitere Personen, wie der Durchsuchungszeuge, der Zeuge A. und die Feuerwehrkräfte zeitweise ebenfalls beim Durchsuchungsobjekt anwesend waren. Weiter werden die Bekundungen ergeben, dass sich Uwe Böhnhardt zwischen 8 Uhr und 08:30 Uhr von der Durchsuchungsmaßnahme der zwei Garagen Nr. 6 und 7 in der Richard-Zimmermann-Straße mit dem Auto entfernte. Nach der Einlassung der Angeklagten Zschäpe soll Böhnhardt sie nach dem Entfernen von den Durchsuchungsobjekten angerufen haben, woraufhin sie das Benzin gekauft und sich zu dem Garagenkomplex begeben habe, der ca. 30 Gehminuten von der Wohnung der Angeklagten Zschäpe entfernt lag.

Aus den Bekundungen der Zeugen wird sich ergeben, dass der von der Angeklagten Zschäpe behauptete Geschehensablauf nicht zutreffend sein kann. Denn selbst wenn die Angeklagte Zschäpe nach einem Anruf von Böhnhardt, der den Bekundungen der Beamten zufolge frühestens um 8 Uhr erfolgt sein kann, sehr schnell agiert hätte, war – wie die Bekundungen der Beamten weiter ergeben werden – um 8.30 Uhr, zu dem Zeitpunkt, zu dem die Angeklagte Zschäpe frühestens beim Garagenkomplex Kläranlage hätte erscheinen können, die Durchsuchungsmaßnahme bei der Garage Nr. 5 bereits im Gang. Die Bekundungen der Zeugen werden diesbezüglich zeigen, dass sich zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt ihres angeblichen Eintreffens bereits eine Zahl von mindestens zehn Polizeibeamten und eine unbekannte Zahl von Feuerwehrleuten sowie mehrerer Dienstfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr in unmittelbarer Nähe bei dem Durchsuchungsobjekt und auf dem Gelände des Garagenkomplexes befanden. In der Beschreibung der Angeklagten Zschäpe von den Abläufen kommen aber Polizei und Feuerwehr gar nicht vor. Ihre Einlassung, sie sei vor Ort gewesen und habe nur wegen der Sorge um Zivilpersonen von einer Brandlegung in der Garage abgesehen, kann vor diesem Hintergrund nicht zutreffen. Wäre sie tatsächlich vor Ort gewesen, wäre für sie, die nach ihren Angaben von Böhnhardt über die Durchsuchung der Garagen Nr. 6 und 7 im Komplex Richard-Zimmermann-Straße informiert war, die Anwesenheit von Polizeibeamten auch im Garagenkomplex Kläranlage von großer Bedeutung gewesen. Die schon in sich nicht plausiblen und lebensfernen Schilderungen des von der Angeklagten Zschäpe geschilderten Vorganges zu Böhnhardts Aufforderung: „Fackel ab“, werden durch die äußeren Umstände widerlegt, die die Zeugen bekunden werden. Der Antrag ist von mehreren NK-Vertreter_innen unterschrieben, weitere schließen sich an.

Götzl: „Sollen Stellungnahmen abgegeben werden? Sind weitere Anträge für heute? Zu nächster Woche: Wir werden am Dienstag, 31.01., fortsetzen, allerdings werden wir den Mittwoch und Donnerstag absetzen, so dass wir nur den Dienstag, 31., haben. Dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen und wir setzen am kommenden Dienstag, 31.01., 9:30 Uhr fort.“ Der Verhandlungstag endet um 14:03 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Heute wurde zunächst ein weiterer Polizeibeamter aus Jena vernommen. Dieser wirkte etwas wacher als seine Kollegen von den Vortagen, war dafür aber auch nur kurz im Staatsschutz gewesen und konnte daher ebenfalls wenig zu Ideologie und Tätigkeiten Ralf Wohllebens sagen. Interessant war seine Aussage, Wohlleben sei beim Staatsschutz ‚Chefsache‘ gewesen und nur vom Leiter des Staatsschutzes bearbeitet worden. Sodann ging es weiter mit dem Sachverständigen Prof. Dr. Saß: da die Verteidigung Zschäpe aktuell keine Fragen hatte, befragte der Vorsitzende ihn erneut. Insbesondere bat er Saß, noch einmal die Wahrnehmungen zu schildern, die seinem Gutachten zu Grunde liegen – was Saß dann über etwa zwei Stunden tat und damit nebenbei auch noch einmal den bisherigen Verfahrensablauf Revue passieren ließ. […} Von Seiten der Nebenklage gab es einen weiteren Beweisantrag zu den Ereignissen um die Durchsuchungen der Garage am 26.1.1998, dem Tag des Untertauchens von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt: Zschäpe hatte behauptet, Böhnhardt habe ihr aufgetragen, die Garage ‚abzufackeln‘, das habe sie aber nicht getan, weil sie Privatpersonen auf dem Garagengelände nicht gefährden wollte. Tatsächlich standen zu dem Zeitpunkt, zu dem Zschäpe an der Garage hätte ankommen können, schon eine Reihe von Polizeibeamten vor der Garage, die Zschäpe indes nicht erwähnt hatte – ein weiterer Hinweis auf die Unglaubhaftigkeit ihrer Einlassung.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/01/26/26-01-2017/

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